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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Unterwelt und nicht
zuletzt ein afrikanischer Diplomat, welcher sich auch ohne Bodyguards als
wehrhaft erwies und eine Pistole aus seinem Jackett zog. Der Umstand, daß der
Killer ein wenig aus dem Konzept geraten war – da sich ihm die Notwendigkeit
aufdrängte, erstens Lorenz Mohn außer Gefecht zu setzen und zweitens erneut auf
Claire Montbard zu schießen –, nützte der Diplomat dazu, seinerseits einen
Schuß abzugeben.
    Viele Menschen gerieten in deutliche Bewegung. Parallel dazu
gerieten auch viele Projektile in Bewegung. Und es hätte eben eines Standbildes
und einer graphischen Erläuterung bedurft, um das klare, bauhausartige Muster
von Reaktion und Gegenreaktion zu erkennen. Statt dessen herrschte das, was wir
als Chaos mißverstehen. Sicherlich verstärkt durch die vielen Glasscheiben,
deren Vorteil, ihre Transparenz, jetzt vom Nachteil, ihrer Fragilität,
konterkariert wurde. Die Splitter flogen tausendfach durch den Raum. Man hätte
meinen können, alles und jeder bestehe aus Glas, aus berstendem Glas.
    Gerade in dieser Situation höchster Verwirrung war es ausgerechnet
Lorenz Mohn, der eine gewisse Übersicht behielt. Denn während alle anderen im
Rechts und Links der Räume und Handlungen gefangen waren, brauchte sich Lorenz
nur auf eine Seite zu konzentrieren. Und auf selbiger befand sich weder der
schießende Killer noch der zurückschießende afrikanische Diplomat, sehr wohl
aber Claire Montbard, die Lorenz rasch erreicht hatte. Es mochten auch andere
schießen, vielleicht einer der Kellner, vielleicht ein Gast, vielleicht ein
Polizist, der sich unter den Gästen befand. Jedenfalls gelang es Lorenz, Claire
aus dem scheinbaren Durcheinander einer kompositionslosen Eskalation nach
draußen zu helfen, ohne daß eine weitere Kugel sie getroffen hätte. Dabei
mußten beide über einen Mann steigen, der tot am Boden lag. Es war Soonwald. Er
hatte die Rolle des »köstlichen Leichnams« übernommen. Und gewissermaßen hatte
er damit auch die »verirrte Kugel« eingefangen, die ursprünglich von ihm selbst
Claire zugedacht gewesen war. Dazu kam, daß roter Wein aus einer umgefallenen
Flasche sich über Soonwalds Kopf und Oberkörper ergossen hatte und sich
solcherart gleichfalls jener surrealistische Satz erfüllte, der da lautete: Der
köstliche Leichnam trinkt den neuen Wein.
    Â»Wer ist das?« fragte Lorenz, als sei das jetzt wichtig.
    Passend dazu antwortete Claire mit einer Stimme, als ströme auch aus
dieser, wie aus ihrer Schulter, das Blut: »Niemand.«
    Nun, das war ungerecht. Mit Soonwald war ein Mann gestorben, der wie
kaum ein anderer unbekannte Poeten und Essayisten gefördert hatte und auf
seltene Weise seiner Frau in Liebe zugetan gewesen war. Da gab es ja wohl
andere, die den Tod viel eher verdient gehabt hätten. Aber wer bekam schon, was
er verdiente? Gerechte Bezahlung war nicht gerade die Domäne dieser Welt. Und
auf X ging es diesbezüglich auch nicht besser zu. Wer gerecht bezahlt werden
wollte, mußte schon mehr als ein paar Dutzend astronomische Einheiten in Kauf
nehmen, um fündig zu werden.
    Â»Sind wir jetzt quitt?« fragte Lorenz Mohn, nachdem sie
aus einer Gruppe ebenfalls flüchtender Restaurantgäste ausgebrochen und hinüber
auf einen großen Platz geeilt waren, der in der Nacht explizit verlassen und
explizit schwarzweiß dalag, fast wie einem Vorurteil der CIA entsprungen.
    Lorenz Mohn bremste seinen Schritt ein, blieb mitten auf der Fläche
stehen und fragte also Claire Montbard, ob man jetzt quitt sei.
    Â»Sie haben es aber eilig«, antwortete sie.
    Ja, er hatte es eilig. Nicht darum, weil da ein paar Gassen hinter
ihnen noch immer der Kampf tobte oder vielleicht sogar der Killer die
Verfolgung aufgenommen hatte. Nein, Lorenz’ Ungeduld ergab sich allein daraus,
daß er so rasch als möglich zurück zu Plutos Liebe gelangen wollte – und damit überhaupt zur Liebe: der Liebe zu seiner Frau,
seinem Geschäft, der Rosmalenstraße, der Liebe zu den vielen Frauen, die
glücklich waren, einen wie ihn zu haben, welcher mit Charme und Eleganz und
Ehrlichkeit wunderbare Wolle verkaufte. Zurück zu einem Leben, das nicht nur
einfach in Ordnung war, sondern sogar sehr in
Ordnung. Das man ruhig gottgefällig nennen durfte.
    Nun, ein solches Leben hatte ja auch Klaus Soonwald im Sinn gehabt.
Und jetzt lag er auf dem Boden eines

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