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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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verträumt und depressiv und selbstredend herzensgut. Er tat, was zu
tun war, entfernte mit seinen weder für die Chirurgie noch die Klavierspielerei
wirklich geeigneten Händen das Projektil aus Claires Schulter und legte einen
Verband an, mit dem er zwar keine Verbandmeisterschaft gewonnen hätte – aber es
genügte.
    Zu dritt stieg man wieder in den Wagen des wartenden Taxifahrers –
der sich ganz seinem Schicksal ergeben hatte – und fuhr hinaus nach Schwechat.
Nicht jedoch, um noch einen Flieger zu erreichen, sondern um in einen Wagen zu
wechseln, hinter dessen Steuer Claires Dienerbruder wartete.
    Es wäre nun überflüssig, die einzelnen Punkte der Flucht dieser vier
Personen aufzuzählen. Faktum ist, daß sie am folgenden Tag in einem Flugzeug
saßen, welches sie von Budapest nach Oslo brachte. So wie es ein Faktum ist,
daß auf der Passagierliste weder der Name Montbard noch jener eines Herrn und
einer Frau Mohn auftauchten.

Epilog
    Daß ihm seit seinem Infarkt die linke Seite fehlte, war
Lorenz nie wirklich aufgefallen. Er hatte es nur gewußt, wie man weiß – oder
wie man lange Zeit geglaubt hatte zu wissen –, Pluto sei unbewohnt. Was Lorenz
nun aber sehr wohl bemerkte, war der Umstand, praktisch mit seinem Weggehen aus
Wien wieder über genau diese linke Seite zu verfügen. Ihm kam es vor, als müßte
er plötzlich nicht durch zwei, sondern durch vier Augen schauen. Er sah Oslo
gewissermaßen doppelt.
    Solcherart empfand er einen Zustand permanenter Betrunkenheit.
Unfähig, sich auszunüchtern. Und ohne sagen zu können, wie das hatte geschehen
können. Denn es versteht sich, daß Lorenz den neuen alten Zustand keineswegs
als Heilung begriff. Auch war es mehr als eine Koketterie, wenn er dachte, daß
nur ein erneuter Infarkt ihn aus der Not schwindelerzeugender Doppelsichtigkeit
würde befreien können.
    Ebenso versteht sich, daß er dem Ort, an dem er nun lebte, Oslo, mit
einiger Abneigung begegnete. So unsinnig es sein mochte, eine Stadt dafür
verantwortlich zu machen, die Welt überflüssigerweise vieräugig zu sehen,
Lorenz tat es trotzdem. Und übertrug sein Vorurteil auf sämtliche Bereiche der
norwegischen Kultur. Für ihn waren die Norweger eine »Bagage von Neureichen«,
deren vielbewunderter Hang zur Sachlichkeit nach seinem Dafürhalten bloß ein
Merkmal ihrer Charakterlosigkeit darstellte.
    Obgleich Lorenz Norwegisch erlernt hatte, wendete er es so gut wie
nie an, sondern führte seine Gespräche in Englisch, dessen hier stark
verbreitete Nutzung er als ein weiteres Indiz für die Rückgratlosigkeit dieses
Volkes heranziehen konnte. Kein Wunder also, daß er auf die rührseligste Weise
an Wien dachte, in einer praktisch neglectischen, einseitigen Manier. So
interpretierte er etwa die in der Regel eher dürftigen Englischkenntnisse der
Wiener als Beweis für deren Standfestigkeit, als Beweis für eine kulturelle
Trotzhaltung wider die schleichende Invasion neoliberaler Welteroberung. Ja,
Lorenz verfiel in das Schwarzweiß einer verklärten Vergangenheit und
dämonisierten Gegenwart.
    Dabei war seine Situation nicht die schlechteste. Er lebte zusammen
mit Sera in einem Haus in der Huitfeldts gate. Zu ebener Erde führte er auch
hier ein Strickwarengeschäft. Er hatte den Laden von einem Händler für
Golfausrüstung übernommen und ihn sodann umbauen lassen. Allerdings mit sehr
viel weniger Begeisterung und Sorgfalt wie im Falle von Plutos
Liebe . Eigentlich hätte er sein neues Geschäft Plutos
Haß nennen müssen angesichts dessen, wie er mitunter die Kundschaft
behandelte. Für ihn waren die Norwegerinnen eine Kreuzung aus Killerwespe und
Gefrierschrank, übrigens sehr im Unterschied zu den Finninnen, die manchmal
hier einkauften. Aus irgendeinem verqueren Grund galt nämlich sein Laden unter
finnischen Touristinnen als kultiger Geheimtip. Wenn eine Finnin erschien,
kehrte Lorenz zu jenem Charme und jener umfassenden Attraktivität zurück, die
einst aus der Konversion eines Pornodarstellers zum Kleingewerbler erwachsen
war. Bei allen anderen Kundinnen jedoch wirkte er düster und verloren und
misanthropisch, weder ein Meister der Wolle noch ein Diener der Frauen. Und es
war allein Sera zu verdanken, daß das Geschäft überhaupt funktionierte. Aber
auch sie wünschte sich…nun, sie konnte es so nicht aussprechen,

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