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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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exklusiv haltend, für
intelligent und aufgeklärt. Vor allem aber: häßlich um der Häßlichkeit willen,
als sei es irgendwie achtbar, besonders fett oder besonders mager zu sein und
lange, wallende Gewänder zu tragen, schreckliche Kurzhaarfrisuren, dicke
Lidschatten, gewaltige Ketten aus clowneskem Modeschmuck und immer diese
Schlapfen, diese Gesundheitsschuhe, und immer diese Greif-mich-nicht-an-Pose,
als wollte irgend jemand solche Weiber angreifen.
    Ja, Lorenz hatte seine Vorurteile. Selbstverständlich.
    Er ließ den Sozialarbeiterhinweis noch ein wenig wirken und wandte
sich dann Sera zu: » Sie sagen mir aber schon, was Sie
tun, oder? Wenn Sie nicht gerade Ihren Garten pflegen, diesen Zauberwald.«
    Lou entließ ein verächtliches Schmatzen. Sera dagegen meinte, daß
das exakt der richtige Begriff sei, Zauberwald , trotz
der geringen Größe des Grundstücks. Denn was wäre ein Zauber auch wert, würde
er eine ganze Parkanlage benötigen? Sodann erklärte sie: »Sie werden lachen.«
    Â»Worüber?«
    Â»Ãœber meinen Beruf.«
    Â»Darf ich raten? Sie retten Menschen.«
    Â»Hin und wieder.« Sie verschränkte ihre Arme zu einer gefälligen
Schleife. »Ich betreibe ein kleines Büro zur Heiratsvermittlung. Klein,
nichtsdestotrotz erfolgreich. Erfolgreich, was meine Kundschaft betrifft.«
    Â»Sie entschuldigen schon, aber das sagen wohl alle in diesem
Gewerbe.«
    Â»Da haben Sie schon recht. Obwohl die Wirklichkeit meistens eine
traurige ist. Die wenigsten Partnerschaften funktionieren. Ich mache da
niemandem etwas vor. Was anderes ist es, wenn sich zwei Menschen zufällig über
den Weg laufen, um dann glücklich oder unglücklich zu werden. Die Institute
jedoch versuchen zu steuern, was nicht zu steuern ist. Also verzichte ich
darauf und arbeite mehr intuitiv. Ich bringe Personen zusammen, nicht weil sie
zusammenpassen. Es wäre lächerlich, zu meinen, eine Nichttrinkerin würde sich
am ehesten in einen Nichttrinker verlieben, ein Katzenfreund in eine
Katzenfreundin, Kunstsammler in Kunstsammlerinnen. Da glaube ich eher das
Gegenteil.«
    Mein Gott, dachte Lorenz, die Frau kann richtig reden. Er merkte
schon, daß es zwei große Themen für Sera Bilten gab: das Heiraten der anderen
und die Arbeit an ihrem Zauberwald.
    Â»Soll das heißen«, fragte Lorenz, »daß, wenn Sie einen Kunstsammler
haben, für ihn eine Kunsthasserin suchen?«
    Â»So einfach geht es leider auch wieder nicht«, erklärte Sera, deren
Lippen wie zwei langgezogene Herzen sachte aufeinanderschlugen. »Es kommt dabei
auf die spezielle Art der Kunstliebe und des Kunsthasses an. Es gibt eine Art
Liebe und eine Art Haß, die sich wunderbar ergänzen. Durchaus wie ein Pfeil und
eine Zielscheibe, wobei ja niemand behaupten wird, Pfeil und Scheibe seien sich
ähnlich. Verschiedener können Gegenstände gar nicht sein. Und dennoch bilden
sie eine Einheit. Auf den Kunstliebhaber und die Kunsthasserin übertragen: Der
eine ist das Ziel, in dem der Pfeil des anderen landet.«
    Â»Und wer ist wer?«
    Â»Das ist eine Frage der Macht, der Aktivität, der…ich
sage das jetzt so: der Freude am Töten und der Freude am Getötetwerden.– Sie verstehen, ich meine das im
übertragenen Sinn. Ich will nicht von Masochismus und Sadismus sprechen, das
sind unschöne Worte, aber es hat etwas für sich, wenn der eine gerne leidet und
der andere gerne Leiden zufügt. Das muß nicht gleich in Demütigung und
Schmerzen ausarten.«
    Â»Kann man darauf auch verzichten?«
    Â»Sie meinen auf das Ungleichgewicht, welches das Gewicht bildet?«
    Â»Sie drücken die Dinge ziemlich idealistisch aus.«
    Â»Das muß ich wohl«, sagte Sera. »Angesichts meines Berufs drängt
sich Idealismus auf. Trotzdem bin ich nicht blind für die Wirklichkeit. Es wäre
schädlich, das Prinzip der Macht außer acht zu lassen: Pfeil und Zielscheibe.
Denn was bringt es, wenn beide, Mann und Frau, jeder ein Pfeil sind, also ein
Schütze? Dann stehen sie nebeneinander, spannen ihre Bögen, fühlen sich
großartig gleichberechtigt, beide konzentriert, beide Jäger… Leider fehlt jetzt eine Zielscheibe. Und
die sucht man sich dann. Man nennt das Fremdgehen. – Der Kunstsammler braucht
einen Widerpart, nicht jemanden, der ihn versteht. Er versteht sich schon
selbst zur Genüge. Es ist ihm eher

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