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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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puren Zuhören.«
    Â»Dann schon lieber ein Dschungel, nicht wahr?« Lorenz zeigte auf die
farbenreiche Pracht.
    Â»Unsinn. Von mir aus könnte man das abholzen und eine schöne, gerade
Betondecke drüberlegen. Dann hätten wir wenigstens keine Insekten. Bloß was
soll ich machen, Sera liebt ihren Garten.«
    Sera lächelte. Weder blöde noch allwissend. Im Unterschied zum
Großteil der Menschen, die von Natur aus gar nicht imstande sind, richtig zu
lächeln, es sich aber nach und nach aneignen. Und dabei ihre Eltern und
Erzieher zum Vorbild nehmen, die es ja auch nur aus der Zeitung und dem
Fernsehen haben. Seras Lächeln hingegen war echt und wie alles Echte nicht ohne
Bitterkeit. Lorenz fragte sich, was diese blauhaarige Frau für ein Problem
hatte. Sie hatte ganz sicher eines. Wäre sie sonst hier gesessen, mit ihrer
schrecklichen Schwester, mit der sie vielleicht sogar die Wohnung teilte,
zumindest im selben Haus lebte?
    Â»Möchten Sie einen Kaffee?« fragte Sera.
    Lou schaute wütend zu ihrer kleinen Schwester, unterließ aber einen
Kommentar. Dann schwenkte sie zu Lorenz hinüber und warf ihm einen warnenden
Blick zu.
    Â»Du blöde Gurken«, dachte Lorenz und war fest entschlossen, sich von
dieser Walze nicht überrollen zu lassen. Er wandte sich an Sera, bemühte sich
um einen physiognomischen Sonnenaufgang und sagte: »Ja gerne.«
    Â»Setzen Sie sich doch«, lud Sera ihn ein und zog einen Stuhl herbei.
Dann stand sie auf, um eine Tasse zu holen.
    Für einen Moment war Lorenz mit Lou Bilten allein. Die Luft klingelte,
als beginne eine besonders unangenehme Schulstunde. Es war viel zu heiß für
jemanden, der nervös war. Lorenz fuhr sich mit einem Fingerknöchel über die
feuchte Stirn. Auch Lou schwitzte, klar, aber sie tat es mit Gelassenheit. Das
bißchen Wasser im Gesicht brachte sie nicht aus der Fassung. Sie fragte:
»Rauchen Sie?«
    Es war nicht so, daß sie ihm etwa eine Zigarette angeboten hätte.
Vielmehr handelte es sich um eine grundsätzliche Frage. Damit sie nachher
wußte, wo sie diesen Burschen einordnen konnte.
    Â»Nein«, sagte Lorenz.
    Warum hatte er das gesagt? Es stimmte ja nicht. Er rauchte gerne,
wenngleich selten, dann aber mit Genuß und Freude und reinem Gewissen. Dennoch
gab er hier vor, Nichtraucher zu sein. Offensichtlich hielt er es für besser –
entgegen seiner Aussage, darauf zu verzichten, jemanden wie Lou Bilten
anschwindeln zu wollen –, sie gerade in diesem einen Punkt auf eine falsche
Fährte zu locken. So lächerlich es klingen mag, Lorenz beschloß, in Gegenwart
dieser Frau niemals nach einer Zigarette zu greifen. Würde es ihm trotzdem
passieren, so spekulierte er, wäre dies ein schwerer Fehler. Wenn nicht ein
fataler.
    Lou wiederum machte ein Gesicht, als hätte sie sich von einem wie
Lorenz sowieso nichts anderes erwartet als kleinmütige Nichtraucherei. Ja, sie
wirkte tatsächlich zufrieden ob dieser Information. Die letzte
Raucherin brauchte keinen letzten Raucher neben sich.
    Die zwei schwiegen. Und auch wenn sie saßen, so umkreisten sie sich.
Eine Bärin und ein Luchs. Oder vielleicht eine Tigerin und ein schlankes
Stachelschwein.
    In dieses tonlose Knurren und bewegungslose Umkreisen brach Sera mit
ihrer typischen Schüchternheit. Sie setzte ihre Schritte vorsichtig, und nicht
nur, weil sie eine Untertasse, eine Schale und einen Löffel balancierte. Ihre
Schüchternheit und ihre Vorsicht hatten freilich nichts von einem Schlachttier,
sie war somit nicht das Huhn, das zwischen Tigerin und Stachelschwein geriet
und den üblichen Kollateralschaden bildete. Nein, sie war… Lorenz wußte es noch nicht. Aber er wollte es herausfinden.
    Hatte er nicht gesagt, daß diese leidige Frau-fürs-Leben-Geschichte
ein Ende hatte? Doch davon wollte er jetzt nichts hören. Er sah Sera, sah ihre
bläuliche und blasse Erscheinung, ihre hübsche Fragilität, ihr Fremdsein, den
Kummer, der in Freundlichkeit überging, erkannte die auf ihrem Hals wie auf
einer Sternkarte eingezeichneten Muttermale, die Herbstfarben ihrer Pupillen,
die Winterfarbe ihrer Haut, den asiatischen Zuschnitt ihres Gesichts, das umsichtig
Schwebende ihrer Bewegungen… Allein,
wie sie ihm jetzt den Kaffee einschenkte, gerade so, als schenke sie ihm ein
Kind. Nun ja, das war natürlich übertrieben, aber Lorenz konnte nicht anders,
als sich diese Frau

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