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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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als Mutter seines Kindes vorzustellen. Eines elfenartigen
Kindes. (Was soll der Unfug? Wer bitte wünscht sich elfenartige Kinder? Kinder,
die dann im Wahnsinn eines Schulalltags untergehen, zerdrückt werden mit ihren
Flügeln und ihrer porösen Seele, ihrem Seelchen.)
    Lorenz dankte für den Kaffee und tat ein Stück Würfelzucker hinein.
Obgleich er niemals Zucker nahm. Wahrscheinlich war dies ein weiteres
Täuschungsmanöver in Richtung Lou. Sie sollte sich nur wundern, wie er seinen
makellosen Körper hinbekam – trotz Zucker im Kaffee. Als er einen ersten
Schluck nahm, mußte er allerdings aufpassen, das Gesicht nicht zu verziehen.
Klar, er würde sich also auch an den Zucker gewöhnen müssen.
    Lou, mit ihrem guten Gespür für die richtigen Fragen, erkundigte
sich bei Lorenz, was er eigentlich bisher getan habe. Das müsse ja ein
beschissener Job gewesen sein. »Ich meine, wenn Sie den aufgeben, um sich…ein
Handarbeitsgeschäft anzulachen.«
    Lorenz zögerte. Nun, da er soeben bezüglich Nichtrauchen und Zucker
zum Kaffee gelogen hatte, brauchte er nicht ausgerechnet jetzt die Wahrheit zu
sagen. Andererseits war voraussehbar, daß man seine pornographische
Vergangenheit ohnehin rasch herausbekommen würde. Solche Geheimnisse blieben
kein Geheimnis. Zudem hatte er ja auch gar nicht vor, irgendein Hehl daraus zu
machen, vielmehr wollte er – in Hinblick auf seine zukünftige Kundschaft – den
Nimbus nützen, der sich aus seinem Wechsel von der Pornographie zur Strickware
ergeben konnte. Darum also…
    Â»Ich war im Pornogeschäft tätig. Als Schauspieler.«
    Â»Schauspieler?« fragte Lou, als frage sie einen Müllmann, ob er
tatsächlich behaupte, einen Lehrstuhl am Institut für Bodenkultur innezuhaben.
    Â»Sie verlangen hoffentlich nicht«, meinte Lorenz, »daß ich mich
dafür geniere.«
    Â»Wie? Sind Sie etwa stolz darauf?«
    Â»Da war nichts Abartiges dabei.«
    Â»Ach nein?« höhnte Lou. »Ist es denn normal zu nennen, sich vor eine
Kamera hinzustellen und…ich bin nicht Poet genug, um das zu
beschreiben und dabei den Eindruck zu vermeiden, ich würde von der
ekelhaftesten, schmierigsten Sache der Welt sprechen.«
    Ganz offenkundig war Lou Bilten kein Fan der Pornographie. Gleich
wie konventionell selbige gestaltet war. Nun gut, das brauchte Lorenz nicht zu
überraschen. Viel wichtiger war Sera. Aus dem Augenwinkel heraus versuchte er,
ihre Reaktion zu erkunden. Doch da war nichts festzustellen. Wenigstens schien
sie besagter Umstand nicht zu schockieren.
    Es war wieder Lou, die sich meldete, während sie irgendein Insekt an
ihrem nackten, feuchten Arm totklatschte: »Wie kommt man dazu, einen solchen
Job zu machen? Wie groß muß die Not sein?«
    Â»Nicht so schlimm. Ich brauchte Geld, und dann bin ich
hängengeblieben. Das übliche Schicksal im Beruf. – Was arbeiten Sie, wenn ich
fragen darf?«
    Â»Das geht Sie nichts an. Schon gar nicht möchte ich, daß Sie meine
Tätigkeit irgendwie mit der Ihren vergleichen. Ich gehöre nicht zu den blöden
Kühen, die sich dazu hinreißen lassen, die Pornographie zu verharmlosen. Von
wegen ›Männer können nicht anders‹.«
    Â»Ihr Ekel ist Ihre Sache. Sie wollten wissen, was ich früher gemacht
habe. Und ich habe es Ihnen gesagt. Tut mir leid, daß ich kein Sozialarbeiter
bin.«
    Das war ein bißchen geraten und ein bißchen geschätzt. Für Lorenz –
der ja auch gerne in Klischees dachte – entsprach Lous Aussehen, diese gewisse
Verwahrlosung der Körperform und Stillosigkeit der Kleidung bei einem
gleichzeitigen Überangebot kosmetischen Mobiliars, nun, es entsprach seiner
Vorstellung von einer weiblichen Person im öffentlichen Dienst. Und das Harsche
ihres Auftretens, diese ganz prinzipielle Unfreundlichkeit sowie der
Anstandsreflex, ließen auf eine langjährige Tätigkeit im sozialen Bereich
schließen. Nicht an der Front, nicht auf der Straße, sondern im Büro, wo ein
breiter Hintern einen guten Platz fand, wo man die Leute warten lassen konnte,
bis sie schwarz wurden und sie endlich in der Lage waren, ihre Anträge richtig
auszufüllen und im richtigen Zimmer abzugeben. Das war Lou: eine Kanone hinter
dem Schreibtisch, ein Mörser des Sozialstaats, spießig, kleinkariert, bigott
wie alle Altachtundsechziger, sich freilich für

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