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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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nach
einem Objekt machte, das er Transneptun nannte und das er auch tatsächlich auf
zwei seiner fotografischen Platten hätte entdecken können. Er übersah es aber.
Das Übersehen ist sowieso das Grundprinzip der Astronomie, weil Astronomen immer
dort suchen, wo sie gemäß ihren Berechnungen meinen suchen zu müssen, also an
den falschen Plätzen. Gleich diesen Heteros, welche mit merkwürdiger
Zielsicherheit ständig in Schwulenkneipen geraten. Darum basieren die meisten
Entdeckungen auf Zufällen, gewissermaßen dann, wenn jemand auf dem Weg in die
nächste Schwulenkneipe der Frau seines Lebens über den Weg läuft. Genauer: über
diese Frau stolpert. So war es auch eher ein Zufall, als 1930 ein gerade erst
frisch angestellter Mitarbeiter des Lowell-Observatoriums, ein Mann namens
Clyde Tombaugh, jenen Transneptun an einem anderen Platz als dem erwarteten
entdeckte.
    Somit war es an der Zeit, ihm einen richtigen Namen zu geben. Sie
tauften ihn Pluto. Ja, der wunderbare Pluto, der auch für unsereins, die wir
ihn quasi von der anderen Seite ins Fernglas bekommen, eine magische Qualität
besitzt. (Und keinesfalls würden wir es wagen, ihn zu einem Zwergplaneten
herunterzustufen!)
    Damals jedenfalls, also 1930, wurden ein paar Leute bei uns nervös.
Natürlich mußte die Entdeckung Plutos nicht bedeuten, daß die Menschen
irgendwann in der Lage sein würden, die Existenz einer zweiten Sonne und somit
auch unseres Planeten feststellen zu können. Aber erstens war mit der
Entdeckung Plutos gewissermaßen eine Grenze erreicht worden – und das Wesen von
Grenzen ist es, zur Überschreitung anzustacheln –, und zweitens hatte man
konstatiert, daß, um die Bahnabweichungen des Neptuns zu erklären, Pluto zu
klein sei. Obgleich es später heißen sollte, besagte Unregelmäßigkeiten in der
Neptunbahn seien auf falsche Messungen zurückzuführen und es hätte alles auch
ohne einen zehnten Planeten seine Ordnung, begann dennoch die Suche nach einem
Planeten X, eine Suche, die sich – sehr zu unserem Bedauern – bis heute nicht
erledigt hat, trotz der Entdeckung von Sedna und Eris im Kuipergürtel. Ein paar
Leute auf der Erde hören nicht auf, ein wesentlich größeres Ding dort draußen
zu vermuten, und sie haben ja recht. Das Dümmste dabei ist, daß die zuständigen
Wissenschaftler demnächst bei einigen ihrer Raumsonden Bahnstörungen
feststellen werden, die genau die Existenz eines solchen großen Planeten X
nahelegen. Und daß dann die Suche erst so richtig losgeht. Und wo gesucht wird,
da wird auch gestolpert. Zwischen all den Schwulenkneipen steht da plötzlich
eine Frau fürs Leben.
    Bekanntermaßen sind die Menschen augenblicklich weit davon entfernt,
ihre Utopien von vor fünfzig Jahren einzulösen und mit elegant um die eigene
Achse kreisenden Raumschiffen das Sonnensystem zu durchwandern, andererseits
wissen wir in der Zwischenzeit, daß man sich vor ihnen, den Menschen, in acht
nehmen muß. Sie verfügen über eine Art von brillanter Verschlagenheit, für die
man sie bewundern darf und fürchten sollte. Es wäre uns in jedem Fall lieber,
würden wir nicht eines Tages in den Teleskopen der Menschen auftauchen wie im
aufgehenden Loch eines alten Stummfilms.
    1930, als wir die Nachricht von Tombaughs Entdeckung des Planeten
Pluto erhielten, gingen die Verantwortlichen daran, eine größere Gruppe von
Agenten zur Erde zu schicken. Agenten erster Klasse. Männer und Frauen. Einer
davon war ich. Es dauerte gut zwanzig Jahre – viel schlechte Filme, viel
Schlaf, viel warmes Bier (Gott weiß warum wir die Sache mit dem Bier nicht
hinbekamen)–, bis wir unser Ziel, die
Erde, erreichten und uns sodann auftragsgemäß verteilten, um unsere Einsatzorte
aufzusuchen, Dokumente zu fälschen, Berufe zu ergreifen, zu heiraten…nur
das mit dem Kinderzeugen und Kinderkriegen funktioniert nicht. Ist
wahrscheinlich auch besser so.
    Das heißt also, daß ich seit den Neunzehnhundertfünfzigern hier bin.
Und ich darf sagen, ich bin es gerne, obgleich mein Auftrag längst vom Geruch
des Sinnlosen erfüllt ist. Ich schreibe Berichte und sende sie ab. Früher gab
es hin und wieder eine Antwort, einen Befehl, einen kurzen Gruß, doch seit gut
fünfundzwanzig Jahren schweigen sich die da oben aus. Bis gestern. Ich dachte
schon, man hätte mich vergessen.

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