Gewitter über Pluto: Roman
gutem
Grund. Jedenfalls scheint es nicht zu genügen, Informationen über diese
Versteinerung nach oben zu funken. Sie wollen das Original. Unbedingt.
Ich bin übrigens nicht der erste X-Agent, der mit einem solchen
Auftrag bedacht wird. So verschwand etwa 1991 ein Exemplar aus Privatbesitz und
tauchte nie wieder auf. Augenscheinlich hat es sich einer unserer Leute
angeeignet, um damit nach X zu reisen. Was gleichfalls für ein Fragment gilt,
das als die Nr. 9 in der Reihe der elf offiziellen Archaeopteryxfunde
bezeichnet wird. Allerdings sind es nicht elf, sondern dreizehn. Die restlichen
beiden wurden bereits zuvor von Agenten erster Klasse aufgespürt und auf den
Weg gebracht.
Dies bedenkend, erscheint es ein wenig überraschend, daà meinem
Auftrag â angeblich â eine solche Bedeutung zukommt, wenn doch sowieso schon
mehrere derartige Objekte in Richtung X befördert worden sind. Keine Ahnung,
vielleicht will man einfach sichergehen. Die Raumfahrt ist alles andere als
eine gemütliche Angelegenheit. Auch ohne Klingonen oder die dunkle Seite der
Macht. Die Dunkelheit an sich, diese ewige Leere, die freilich konterkariert
wird von herumfliegenden Brocken und viel unguter Strahlung, weiters die
bereits erwähnte Unfähigkeit, in unseren Raumschiffen ein halbwegs gescheites
Bier herzustellen, vor allem natürlich der Hang der Technik, auch bester
Technik, zu versagen, ja die fatale Bedeutung einer einzelnen Schraube, hat
sich selbige Schraube einmal gelockert, nicht weniger, wenn es sich um eine flüssige Schraube handelt â dies und einiges mehr ist kaum
eine Garantie für ein sicheres Reisen. Zudem ist es nicht an mir, die
Sinnhaftigkeit eines Auftrags zu beurteilen, ich habe lediglich ihn
auszuführen. Agenten wurden nicht zum Denken geboren, heiÃt es. Wenn sie
denken, dann ist das ihr Privatvergnügen.
Das Traurige an dieser Geschichte besteht indes darin, daà ich
gezwungen bin, die Erde zu verlassen. Ich habe mich an dieses Leben, an die
Menschen, vor allem an mein Liebesglück gewöhnt. Nicht, daà es auf X keine
Frauen gibt, nicht, daà dort die Ehen schlechter wären, aberâ¦nun,
ich hatte auf der Erde in dieser Hinsicht sehr viel mehr Erfolg als auf X.
Warum auch immer. So was passiert. Es gibt Deutsche, die müssen nach Tokio
gehen, um glücklich zu werden, und Japaner, denen sich erst in Flensburg das
Wunder der Liebe offenbart. Manche müssen reisen, manche müssen zu Hause
bleiben. Und wohl dem, der sich für das Richtige entscheidet.
Doch es geht nicht allein um die Frauen. Es geht um alles. Es geht
um meine Botnanger Idylle. Hier fühle ich mich geborgen. Geborgen in einem
Leben, dessen augenscheinlichste Qualität die des GleichmaÃes ist. Es gibt
keinen Grund, sich nach wilden Abenteuern zu sehnen, nach rasanten Autofahrten
und Aufputschmitteln zwischen den Mahlzeiten. Ich kenne die Dolomiten, ich
kenne die Côte dâAzur, ich kenne das Nachtleben von London, aber ich habe dort
nichts entdecken können, was es mit der elementaren Ausgewogenheit
kleinstädtischen Lebens aufnehmen kann. Ich rede nicht von Dörfern. Dörfer sind
die Hölle. Nein, ich meine Orte, die genau die richtige GröÃe besitzen, das richtige
Niveau, wo man die Natur in nächster Nähe weiÃ, ohne daà diese Natur einem
quasi die Tür einrennt, wie sie das auf dem Land zu tun pflegt.
Es ist ganz bezeichnend, daà ich seit einigen Jahren als Herausgeber
einer vierteljährlichen Druckschrift fungiere, die in Anlehnung an ein Linzer
Periodikum der Biedermeierzeit sich »Schwäbisches Bürgerblatt für Verstand,
Herz und gute Laune« nennt. Natürlich hat das auch etwas Provokantes, einen
solchen Namen gewählt zu haben, heutzutage, wo »gute Laune« allein einem
Zustand starker Betäubung zugeordnet wird, begleitet von den grausam-lustigen
Gesängen volkstümlicher Musik. Ich meine jedoch eine gute Laune, die sich
zwangsläufig aus einer Kultivierung des Verstandes und des Herzens ergibt.
Meine Zeitschrift ist dabei alles andere als eine konservative
Erbauungslektüre für Wanderfreunde. Eher steckt darin der Aufruf zum
Ungehorsam. Nicht unbedingt zur Revolution, das würde mir und meinen Autoren
nicht entsprechen. Mit der Revolution sind die groÃe Geste und das groÃe
Theater verbunden. Viel Blut, aber wenig gute Laune. Mit dem Ungehorsam ist es
anders. Der Ungehorsam ist eine
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