Gewitter über Pluto: Roman
Aber so ist es nicht. Sie haben mich nicht
vergessen. Beziehungsweise dürfte ich ihnen wieder eingefallen sein. Ja, das
Gedächtnis. Das schlechte Gedächtnis ist die Vogelplage in unseren Köpfen.
Als die Order kam, ahnte ich bereits, mein Auftrag würde irgendwie
mit jener Sonde zusammenhängen, welche die NASA zwei Jahre zuvor Richtung
Pluto geschickt hatte. Das kann uns nämlich gar nicht recht sein, daà die
Menschen eins ihrer Geräte dorthin befördern. Wir haben auf Pluto ein biÃchen
herumgebaut, nichts Weltbewegendesâ¦na ja, die Erdbewohner würde es
wahrscheinlich schon bewegen, festzustellen, daà sie nicht als einzige den Hang
besitzen, in den ungastlichsten Gegenden wissenschaftliche Stationen
einzurichten, damit ein paar Pinguinforscher was zu tun haben. â Nein, es gibt
keine Pinguine auf Pluto. Das ist nur so ein Bild.
Darum hatte ich es erstaunlich gefunden, daà offensichtlich niemand
aus meiner Mannschaft dazu befehligt worden war, den Start der Plutosonde zu
sabotieren. â Ãbrigens steht keiner dieser Agenten mit einem anderen in
Kontakt. Wir wurden in alle Winde zerstreut, und es müÃte schon ein besonderes
Glück geschehen, daà diese Winde zwei von uns per Zufall wieder zusammenführen.
Aber selbst wenn das geschieht, ist es mehr als fraglich â trotz unserer
geringen Alterung â, ob wir uns erkennen. Vielleicht im Gespräch, wenn eine
glückliche Fügung es mit sich bringt, daà man über warmes Bier ins Reden kommt
und einem nach und nach ein Lichtlein aufgeht. Doch grundsätzlich ist zu sagen:
Ein Agent erkennt einen Agenten nicht oder nur schwer.
Ein Vierteljahrhundert muÃte ich also warten, bis man wieder Kontakt
zu mir aufnahm. Ãbrigens nicht via Radio oder Fernseher oder eine komplizierte
technische Einrichtung, sondern dank eines Glases Wasser. Die Menschen haben
nämlich keine Ahnung, was man mit Wasser alles anstellen kann. Sie denken
immer, im Licht liege die Wahrheit. Es ist die Geschwindigkeit des Lichts,
welche beeindruckt und zu groÃen Träumereien verführt. In Wirklichkeit ist es
aber das Wasser, das einen richtig weiterbringt. In jeder Hinsicht. Hätten die
Menschen eine Ahnung von den Möglichkeiten des Wassers, sie würden jeden
Schluck mit der allergröÃten Hochachtung zu sich nehmen und nicht sinnlos lange
unter der Dusche stehen. Sie würden kleine Gebete sprechen, bevor sie
darangehen, Autos zu waschen, Geschirr zu spülen oder gar in einen See zu
springen.
Richtig, wir transportieren unsere Nachrichten mit Wasser. Was bei
solchen Entfernungen ein wenig dauert, aber eben nicht ewig. Zudem ist die
Qualität verblüffend gut und die Zielgenauigkeit groÃ. Allerdings genügt es
nicht, ein einziges Glas Wasser auf den Tisch zu stellen. So einfach ist die
Anpeilung bei einer Entfernung von immerhin mehr als fünfzig astronomischen
Einheiten nun auch wieder nicht. Darum ist es nötig, daà ich â gleich, wo ich
gerade lebe â mir einen Extraraum einrichte, den ich mit Gläsern voll Wasser
zustelle. Es müssen immer Gläser sein, ein Becken wäre Unsinn, in einem Becken
würde sich die Mitteilung verlieren, zu einem Kauderwelsch verschwimmen.
Natürlich ist es nicht ganz leicht, der eigenen Frau verständlich zu machen,
warum man in seinem Hobbykeller ein paar hundert Gläser plaziert hat. Ich habe
immer wieder erklärt, es handle sich um ein Experiment. Was für ein Experiment?
fragten meine Frauen. Ich antwortete ein jedes Mal: »Ein musikalisches
Experiment.« Das ist eine Antwort, die beruhigt, auch wenn es verwundern mag,
nie etwas zu hören zu bekommen. Aber ich habe ja schon darauf hingewiesen,
immer nur mit guten und freundlichen Frauen zusammengewesen zu sein. Und die
freundlichste, liebenswerteste ist ganz sicher die, mit der ich nun seit gut
zehn Jahren eine glückliche Ehe führe. In einer Stadt namens Stuttgart, in
einem Stadtteil namens Botnang. Ruhiger und friedlicher als an diesem Ort kann
es gar nicht zugehen. Doch ich rede nicht von einer langweiligen oder dummen
Ruhe. Sondern von einer gesunden Ruhe. Damit argumentiere ich ja auch, wenn
Maritta sich beschwert, ich hätte mich in den zehn Jahren unseres Zusammenseins
so gar nicht verändert. Oft sagt sie zu mir: »WeiÃt du, Klaus, du bist als der
Ãltere von uns beiden in diese Ehe gegangen, aber ich befürchte, am Ende dieser
Ehe
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