Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
wirst du eindeutig der Jüngere sein.« Ich versuche das abzuschwächen und
erkläre gerne: »Das ist das Klima in Botnang. Das ist das Leben mit dir. Ich
bin von Gesundheit umgeben. Wie, bitte, soll ich da altern?« Man kann sich
vorstellen, wie sie bei dieser Aussage kritisch ihre Augenbrauen zusammenzieht.
Allerdings lächelt sie dazu. Sie nimmt mich auf eine gutherzige Weise nicht
ernst. Ich will auch gar nicht ernst genommen werden. Als Agent bin ich zur
Unauffälligkeit verpflichtet. Meine mit Abstand größte Eskapade besteht darin,
den Keller mit Wassergläsern vollgestellt zu haben.
    Als ich nun gestern, wie ich das jeden Abend tue, in selbigen Keller
hinunterstieg, da sah ich es sofort. Auf der Wasseroberfläche eines einzigen
Glases hatte sich die markante Ringstruktur gebildet, nicht anders, als würden
in kurzen Abständen Tropfen auf die Fläche auftreffen. Tropfen aus dem Weltall.
Unsichtbare Tropfen. Tropfen, die durch jedes Material dringen, sich aber in
einem kleinen Glas Wasser verfangen. Nachrichten von Zuhause.
    Ich räumte rasch die anderen Behältnisse zur Seite und legte sodann
eine einfache Glasplatte auf das betreffende Gefäß. Sekunden später strömte das
aus früheren Zeiten vertraute lilafarbene Licht nach oben, bildete eine
zopfförmige, schlanke Säule, bevor mit einem kurzen, festtäglichen Funkenschlag
der holographische Text sichtbar wurde.
    Das Problem ist die Kurzlebigkeit dieser Nachrichten. Man muß sich
also beim Lesen beeilen. Wobei ich leider ein wenig aus der Übung bin. Aber es
ging dann doch, sodaß ich mit einigem Erstaunen die Details meines Auftrags zur
Kenntnis nehmen konnte. Eines Auftrags von höchster Priorität, wie mehrmals
betont wurde.
    Als ich da auf der in Fliederblau leuchtenden Säule den Namen
»Archaeopteryx« las, dachte ich an irgendeinen stinknormalen Saurier. Erst nach
und nach wurde mir klar, daß von einer Übergangsform die Rede war, ja im
Prinzip von einem Vogel, vielmehr der Mutter aller Vögel. Und wenn einer wie
ich das Wort »Vogel« liest, ist er sogleich alarmiert. Ich erkannte, daß es
sich um einen echten Auftrag handelte. Keinen Spaß,
keine Beschäftigungstherapie.
    Es muß nun erwähnt werden, daß auf meinem Heimatplaneten gewisse
geologische Paradoxien vorherrschen, die es uns verunmöglichen, so weit in die
Urgeschichte unseres Planeten vorzudringen, wie dies auf der Erde gern geübte
Praxis ist. Das ist natürlich vor allem in bezug auf die exorbitante, seit
jeher bestehende Übermacht der Vögel höchst bedauerlich. Zumindest glauben viele
unserer Wissenschaftler, daß, wenn sie die genaue Entwicklungsgeschichte der
Vögel kennen würden, sie erstens das Problem in seiner eigentlichen Bedeutung
begreifen könnten und man zweitens viel eher in der Lage wäre, eine biologische
Waffe gegen die extreme Vermehrung zu entwickeln.
    Wie sich im Laufe der Zeit herausgestellt hat, sind unsere beiden
Vogelwelten – die der Erde wie die meines Heimatplaneten (den wir also, weil
die Menschen es nun mal tun, X nennen wollen) – beinahe völlig identisch,
selbst noch, was die Lebensdauer der einzelnen Vogelarten betrifft.
    Während ich den zusehends schwächer werdenden Säulentext las und
begriff, daß man allen Ernstes von mir verlangte, ein solches
Archaeopteryxfossil zu entwenden und höchstpersönlich nach X zu befördern,
entwickelte ich nach langer Zeit wieder ein Gefühl dafür, was ich eigentlich
bin: ein Agent. Und nicht nur ein Mann, der so tut, als sei er ein Agent, und
welcher in seinem Keller »musikalische Experimente« durchführt.
    Die Anweisungen meiner Vorgesetzten erwiesen sich als äußerst
präzise. Ich beeilte mich, sie herunterzulesen und in mein Diktaphon zu
sprechen. Wort für Wort. Wenn meine Vorgesetzten etwas hassen, dann die freie
Auslegung von Befehlen. Nun gut, das dürfte so eine Art planetenübergreifendes
Kulturgesetz sein.
    Es ist wohl dem Umstand meiner Stuttgarter Existenz zu
verdanken, daß man mich ausgewählt hat. Denn in vernünftiger Entfernung zu
dieser Stadt liegt ein Landstrich, den man Fränkische Alb nennt und wo sich
auch der Ort Solnhofen befindet. Und genau dort, in einem kleinen Museum, ist
jenes Fossil ausgestellt, dem einige Leute auf X eine solche Bedeutung
beimessen. Möglicherweise aus purer Verzweiflung, vielleicht aber mit

Weitere Kostenlose Bücher