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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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sagen konnte, nannte ich eine
Geldsumme, welche klarmachte, daß ich erstens nur eine ausgezeichnete Arbeit
akzeptieren würde und daß ich zweitens nicht zu den Leuten gehörte, die
Ablehnungen duldeten. Das ist ganz wichtig: genau jenen Betrag zu nennen,
dessen Höhe das Gegenüber paralysiert. Zuviel wäre dabei ebenso ein Fehler wie
zuwenig. Die Höhe muß den Ernst der Situation symbolisieren. Bei der Bezahlung
zu über- oder zu untertreiben ergibt stets eine Karikatur. Das verbindet
Niedriglohnempfänger mit Topmanagern.
    Nix begriff sofort, daß es eine Diskussion nicht geben würde. Er
fragte nur: »Bis wann brauchen Sie den Vogel?«
    Ich hätte sagen können: in fünf Wochen. Aber ich wollte meine Macht
mittels Freundlichkeit unter Beweis stellen. Darum erkundigte ich mich:
»Schaffen Sie es in fünf Wochen?«
    Ich vernahm sein Nicken durch die Telefonleitung. Dann nannte er mir
den Tag, an dem ich nach Wien kommen und das »Fossil« abholen sollte.
    Es ist sicher keine Kleinigkeit, eine solche Kopie
herzustellen, wenn einem das Original nur in Abbildungen zur Verfügung steht.
Aber bekanntermaßen kann man auch einen Picasso ganz gut fälschen, ohne darum
vor dem echten Bild sitzen zu müssen. Ja, im Grunde besteht eine Meisterschaft
der Fälscher darin, mittels der Fälschung das bessere Werk zu schaffen. – Ich
war überzeugt, daß Nix das hinbekommen würde. Ich war überzeugt, daß er einen
Archaeopteryx modellieren könnte, der sich dank winzigster Details irgendwann
als noch ergiebiger erweisen würde als der echte Vogel. Ich dachte mir die
Sache so ideal – so human! – wie möglich.
    Leider sollte sich die Wahrheit als weit komplizierter
herausstellen. Nix mochte zwar ein paläontologisches Genie nicht weniger als
ein begnadeter Fälscher von Fossilien sein (ein paar von den Tieren, die er
angeblich entdeckt hat, haben nie existiert), aber in ihm steckte gleichwohl
ein gewisser Irrsinn. Gemäß meinen Informationen war er bereits seit Monaten
nicht mehr der Mieter des Ladens, in dem er einst seine kleine Bäckerei
betrieben hatte. Doch obwohl jemand anderer das Geschäft soeben renovieren
ließ, suchte Nix weiterhin Nacht für Nacht, eine Seitentüre benützend, die
Räume auf, um in einem rückwärtigen, von der Welt abgetrennten Kämmerchen
seiner Arbeit nachzugehen. Und nun bestand diese Arbeit ebendarin, einen
besseren Solnhofener Archaeopteryx herzustellen.

12  |  Gelernt ist
gelernt, und ein Pech ist ein Pech
    Als ich in Wien ankam, lag eine drückende Schwüle auf der
Stadt, hüllte die Stadt ein, einen jeden Passanten. Die Luft stand still und
schnaubte ein wenig. In der Art dieser Gewichtheber, die da im Angesicht der zu
stemmenden Last in eine meditative Ruhe versinken und einen Moment lang nichts
anderes als gelockerte Kraft sind, bevor sie dann in einen Zustand höchster
Anspannung und nachfolgender Explosion geraten.
    So würde es auch mit dieser Wiener Luft geschehen.
    Ich brachte meinen Koffer ins Hotel. Nun, es war kein richtiges
Hotel, sondern eine Pension, die den Namen Leda trug
und von einer merkwürdigen alten Frau geführt wurde, die hinter einer Theke aus
fast schwarzem Holz stand und mir einen schweren Zimmerschlüssel unter die Nase
hielt.
    Â»Aus Deutschland also«, sagte sie mit einem dunklen Ton, der
zwischen den erstaunlich weißen Zahnreihen hervordrang. Dabei blickte sie mich
mit kleinen, runden, feuchten Augen an, als mache sie Unterwasserfotos.
    Â»Aus Deutschland«, bestätigte ich. Aber ich sah ihr an, daß sie mir
nicht glaubte.
    Ich habe schon erwähnt, wie schwer es für Agenten ist,
einen anderen Agenten zu erkennen. Woran denn auch? Doch bei dieser Frau hier
überkam mich der Verdacht… Ich
zitterte ein wenig. War das möglich? Konnte es sein, daß diese Frau ebenfalls
von X stammte? Zwar würde ich noch erfahren, daß sie zwei Söhne hatte. Aber
wenn man die beiden sah, konnte man sich schwer vorstellen, daß sie tatsächlich
die leiblichen Kinder dieser resoluten Greisin waren. Eher wirkten sie wie
gequälte Domestiken, die ein böses Schicksal unter die Kuratel einer
autoritären Hexenmeisterin geweht hatte.
    Natürlich hielt ich hinterm Berg. Kein Wort über X. Auch von ihrer
Seite nicht. Aber in unserem gegenseitigen Anschauen lag ein Verdacht mit Zügen
der

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