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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Gewißheit.
    Sie rief einen ihrer »Söhne«, welcher mich hinüber in mein
Zimmer brachte. Ein leicht schäbiges, überaus stickiges Kabinett, in dem man
sich wie in einer übergroßen Marlboropackung fühlte. Der Blick aus dem Fenster
wies auf einen langgestreckten Rangierbahnhof. Das Öffnen dieses Fensters hätte
ich mir sparen können. Luft, die sich nicht bewegte, hatte ich ohnehin genug im
Zimmer. Ich legte mich eine Weile aufs Bett und schloß meine Augen. Mein Herz
pochte so komisch. Nun, es war keine Kleinigkeit, nach all den Jahrzehnten
einem anderen Agenten begegnet zu sein. Frau Leda stammte wohl aus der ersten
Generation, die man auf die Erde entsendet hatte. Und offensichtlich gehörte
sie zu denen, die nicht wieder heimkehren würden. Um statt dessen auf der Erde
alt und älter zu werden.
    Die eiserne Regel in der Pension Leda hieß: Schlüssel
abgeben, wenn man das Haus verläßt.
    Â»Gut möglich, daß ich erst spät in der Nacht heimkomme«, erklärte
ich.
    Â»Kommen Sie, wann Sie wollen. Der Schlüssel bleibt hier«, bestimmte
Frau Leda.
    Â»Na gut«, sagte ich. »Ich gehe davon aus, daß immer jemand da ist,
der mir öffnet.«
    Sie gab keine Antwort, nahm den Schlüssel und hängte ihn an ein
Bord, das so dunkel war, daß der Schlüssel samt dem mächtigen silbernen
Anhänger sein ganzes Licht inmitten der Schwärze verlor.
    Es muß nun gesagt sein, daß die Straße, in der die Pension Leda lag,
den Namen Universumstraße trug. Das klang ein wenig nach einem Witz. Aber der
Witz stand auf festen Beinen.
    Ich verließ das Hotel und fuhr mit dem Taxi zu einem versifften
kleinen Café, wo ich Nix traf. Er erklärte mir, daß der »Vogel« sich in der
ehemaligen Bäckerei befinde, in einem von einer Metalltüre abgesperrten Raum.
Wir müßten aber warten, bis es spät genug wäre und keiner der Arbeiter, die
gerade den Laden umbauten, mehr vor Ort sei. – Nun, es konnte mir nur recht
sein, ein wenig sitzen zu bleiben, da gerade ein unglaubliches Gewitter vom
Himmel brach. Als hätten sämtliche Götter gleichzeitig einen Heulkrampf. Die
Besucher in dem Café jedoch schienen bester Laune, geradezu euphorisiert ob der
kleinen Götterdämmerung draußen vor ihrer Türe. Mir waren die Wiener bis dahin
nur aus Erzählungen vertraut gewesen, doch offenkundig handelt es sich um
Leute, die ihre Klischees noch richtig ernst nehmen. Nie habe ich erlebt, daß
Menschen mit derartiger Freude saufen und rauchen und dabei zusehen, wie
Hagelkörner ihre Autos verbeulen.
    In einer solchen Atmosphäre kann man gar nichts anders, als selbst
ein wenig zu rauchen und zu saufen. Nix natürlich sehr viel mehr als ich, aber
er war ja hier auch der Einheimische. Außerdem setzten sich zwei Frauen an
unseren Tisch, nette Frauen, wie ich zugeben muß. Frauen, die auf eine ordinäre
Weise charmant und witzig waren, deren Vulgarität einen kunstvollen Eros zu
bilden imstande war. Allerdings brauchte ich viel zu lange, um zu begreifen,
daß es sich um Prostituierte handelte. Weil das nun aber nicht deren Schuld
war, sondern meine, bezahlte ich die beiden auch ohne Sex. Nix wäre dazu kaum
noch in der Lage gewesen, und ich selber bin ja verheiratet. Genauso erklärte
ich es den beiden: »Ich bin verheiratet.« Sie sahen mich voller Bewunderung an
und nahmen das Geld, das ich ihnen respektvoll unter dem Tisch hinhielt. (Die
Wahrheit war freilich die, daß es nicht mein Verheiratetsein war, das mich
abhielt, sondern die ganz grundsätzliche Einstellung, sich den Sex mit fremden
Frauen erst einmal verdienen zu müssen. Und ich hatte ihn mir nun mal noch
nicht verdient.)
    Es war recht spät, als Nix und ich endlich aufbrachen, um
den falschen Archaeopteryx abzuholen. Wir betraten das Haus durch die
Hauptpforte, für die Nix noch immer den Schlüssel besaß. So wie er auch über
einen Schlüssel für die Türe verfügte, die vom Gang her in einen Hinterraum des
Geschäfts führte. Daß der Raum beleuchtet war, brauchte uns nicht zu
irritieren, stellte es doch während solcher Renovierungsarbeiten eher die Regel
dar. Sehr wohl irritierend war hingegen der Umstand einer aus dem Mauerwerk
gebrochenen Metalltüre. Und nicht minder der Anblick eines Mannes, welcher in
der nun offenen Werkstatt auf einem Bett lag. Er schlief tief und

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