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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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nicht. – Ich verlange von Ihnen nur etwas, was ich
von Ihnen auch verlangen kann.«
    Das schien Mick anders zu sehen. Er faltete die Hände, als wollte er
beten, preßte die beiden Zeigefinger gegen seine Lippen und schüttelte
ungläubig den Kopf. Dann öffnete er seine Lippen zu einem kleinen Spalt, ließ
aber gewissermaßen die Kette vorgehängt und murmelte: »Alter Depp.«
    Wie gesagt, ich sehe wie fünfzig aus. Ich finde allerdings nicht,
daß das ein hohes Alter ist. Mick mochte vielleicht dreißig sein, freilich
merkte man ihm die vielen langen Nächte an. In zwanzig Jahren würde er sich die
Schminke fingerdick auftragen müssen, um nicht an einen Autounfall zu erinnern.
    Egal! Mick gab seinen beiden Jungs ein Zeichen. Ganz klar, sie
sollten mich vor die Türe setzen.
    Gewalt macht mich traurig, umsomehr, als ich ein Teil von ihr bin.
Sie ist in der Regel unnütz. Würde die Gewalt Probleme lösen, die anders nicht
zu lösen sind, gut, ich wäre sofort dafür. Doch meistens bedeutet die Gewalt
einen verzichtbaren und leidvollen Umweg. Würden wir nämlich genau hinschauen,
wüßten wir von vornherein, wie ein bestimmter Krieg – in der weiten Welt oder
mitten in der Familie – ausgehen wird. Wir könnten uns also ersparen, ihn zu
führen. Es gibt nichts zu verteidigen, wenn es schon verloren ist. Und ginge es
wirklich um die Ehre, nun, dann würden wir nicht mit Bomben schmeißen und
foltern und kleine Kinder mit reinziehen.
    Wäre es irgendwie möglich gewesen, hätte ich die beiden Jungs, die
jetzt breitschultrig auf mich zustampften, dazu eingeladen, eine Partie Schach
zu spielen. Aber so lief das leider nicht. Kein Schach, keine Würde, viel
Unglück. Einer zog ein Messer.
    Â»Wollt ihr mich abstechen?«
    Es war Mick, der antwortete: »Aber ich bitte Sie, wir sind doch
keine Fleischhacker. So ein Messer ist halt ein Symbol. Dafür, daß es einem
ernst ist.«
    Â»Ja, aber wie ernst denn bitte?« fragte
ich. Und sagte: »In einem Messer steckt stets die Wahrscheinlichkeit, daß es
auch benutzt wird. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. Darum sollten
wir es nie als Symbol mißbrauchen. Außer, wir zeichnen oder modellieren es. –
Dieses Messer hier ist aber unglücklicherweise vollkommen echt.«
    Und indem ich das sagte, schob ich meinen Arm vor. Wenn es sein muß,
bin ich schnell. Sehr schnell. Ich habe gelernt, Bewegungen zu optimieren. Ich
führte meine offene Hand knapp an der Klinge entlang, packte die Hand des
Jungen und drückte meinen scharfen Daumennagel in seinen Muskel. Der Junge
löste unwillkürlich die Faust. Ich erwischte das Messer, indem ich zwei Finger
spangenartig um den Griff fügte und mit einer Drehung um die Achse die Richtung
der Klinge verkehrte, sodaß jetzt die Spitze auf den Angreifer zeigte. Auf
diese Drogendealer- und Jungzuhälterexistenz. Türke wohl. Ich kann nicht
behaupten, daß ich die Türken mag. Obgleich ich in einem gebildeten Milieu
lebe, wo man nichts gegen sie sagt. Sich nichts zu sagen traut, um nicht
intolerant dazustehen. Doch wozu tolerant sein? frage ich mich. Vor allem:
tolerant gegen wen? Gegen Leute, die ihre Töchter einsperren, die ihre Söhne
auf die Straße schicken, weil sie zu faul oder zu blöd sind, ihnen aus einem
Buch vorzulesen? Leute, die sich der Religion wie eines Schlagstocks bedienen,
um ihre autoritäre Energie auszuleben? Ich weiß schon, daß nicht alle Türken so
sind, daß es auch liberale Türken gibt. Bloß, daß ich keine kenne. Die, mit
denen ich zu tun habe, sind nicht tolerant. Das kann man sehen. So wie man ja
auch sehen kann, wenn so ein paar Jungs dir auf der Straße entgegenkommen und
dich dazu zwingen, ihnen auszuweichen. Was soll ich von denen halten? Daß sie
nur spielen wollen? Nein, diese Leute verachten alles Liberale. Selbst der
Mann, der das türkische Restaurant führt, wo ich früher oft zu Gast war. Ein
freundlicher, geradezu vornehmer Mensch. Ich habe mich einmal mit diesem
freundlichen, vornehmen Menschen über Familie und Erziehung unterhalten.
Seither mache ich einen Bogen um ihn und sein Lokal. Vielleicht bin ich ein
Rassist, gut möglich. Ich mag ja auch keine Vögel. Sogar hier auf der Erde mag
ich sie nicht, obwohl sie da gar keine Plage sind. Ich denke, der Rassismus ist
nur dort ein Problem, wo er mit einem

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