Gewitterstille
gleichgültig. Er hatte sich längst daran gewöhnt, Kritik an sich abprallen zu lassen. Er stand auf und goss ihnen Kaffee ein. Man konnte nur hoffen, dass die Fahndung nach Petra Kessler zeitnah zum Erfolg führen würde. Ihr Berliner Haus stand ebenso unter Beobachtung wie die Überreste vom Haus ihrer Mutter.
»Flughäfen und Bahnhöfe sind gesichert, und bundesweit wird auf den Straßen nach Petra Kesslers Wagen Ausschau gehalten. Zudem sind Bilder von Emily in allen großen Zeitungen und in den Nachrichten gezeigt worden«, sprach er seinem Kollegen und sich selbst Mut zu.
Bendt lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss einen Moment lang die Augen.
»Wir müssen sie finden«, sagte er. »Was immer diese Frau mit dem Kind vorhat – wir müssen sie finden.«
53. Kapitel
P etra lenkte ihren Wagen über die regennasse, glit s chige Straße. Ihre Augenlider wurden immer schwerer, und ihr Bedürfnis nach Schlaf schien übermächtig. Ihre Nerven lagen blank, und trotz der Müdigkeit war sie schrecklich aufgewühlt. Sie zwang sich, sich auf die Straße zu konzentrieren, und versuchte, die einschläfernde Wirkung der auf der Scheibe hin und her rudernden Scheibenwischer zu ignorieren. Sie hatte das Gelddepot, das ihr Mann in einer Liechtensteiner Bank angelegt hatte, immer mit einer gewissen Skepsis betrachtet. Nun war sie froh, dass es die Million außerhalb des Zugriffs der deutschen Behörden auf dem geheimen Konto gab. Sie musste das Geld holen und fliehen, bevor die Welt erfuhr, dass man sie suchte. Es strengte sie furchtbar an, den Wagen durch die Serpentinen der Gebirgslandschaft zu manövrieren. Rechts und links der Strecke ragten dunkle Tannen empor. Schaudernd dachte sie an die Sekunden zurück, in denen sie hin ter einer Säule des Hotels in der Lobby gestanden und zitternd das Telefongespräch der Rezeptionistin mit der Polizei belauscht hatte. Sie hatte ihr Zimmer nur zufällig verlassen, um eine Tasche aus dem Auto zu holen, und war angesichts des Gesprächsinhalts gezwungen gewesen, sofort zu fliehen.
Sie betrachtete ihr Gesicht im Rückspiegel und bemerkte die dicken schwarzen Ränder unter ihren Augen. Kein Wunder, nach allem, was sie durchgemacht hatte. Sie stutzte, als sie ein Fahrzeug der Gendarmerie herannahen sah. Es schloss dicht zu ihrem Wagen auf, und sie erhöhte das Tempo. Der Fahrer des Wagens hinter ihr tat es ihr gleich und setzte den Blinker, um zum Überholvorgang auszuscheren. Petras Müdigkeit war binnen des Bruchteils einer Sekunde verflogen. Gleichzeitig fühlte sie, wie ihre Schläfen zu pochen begannen und die Angst ihren Nacken emporkroch.
Die Fahrbahn war eng und rechts und links durch Leitplanken begrenzt. Es schien keine Chance für sie zu geben, auf dieser Strecke zu entkommen. Petra schrak zusammen, als ein entgegenkommendes Fahrzeug so eng an ihr vorbeischoss, dass ihr Seitenspiegel um ein Haar abgerissen worden wäre. Sie beschleunigte erneut. Im Fahrzeug hinter ihr ertönte schrill die Polizeisirene, die in ihrem Kopf ebenso schmerzte, wie Emilys Babygebrüll in der vergangenen Nacht es getan hatte. Jetzt war es still auf der Rückbank, und Petra hatte keine einzige Beruhigungstablette mehr. Sie trat weiter auf das Gaspedal. Ihre Angst peitschte sie voran, während der Regen gegen die Scheiben klatschte und die Tannen wie im Zeitraffer an ihrem Fenster vorbeisausten. Die engen Kurven und die hohe Geschwindigkeit lösten ein Schwindelgefühl bei ihr aus, das zu ihrer eigenen Verblüffung eine geradezu befreiende Wirkung zu haben schien. Die Entfernung zum Wagen hinter ihr vergrößerte sich um einige Meter, und der Gedanke, ihren Verfolger bezwingen zu können, beflügelte sie. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich kühn. Sie gab sich völlig dem Rausch der Geschwindigkeit hin. Die Konturen der Bäume entlang der Fahrbahn wurden zu einer grünen Wand, während sie die Serpentinen entlangraste. Der Abstand vergrößerte sich, während sie den steilen Abhang links der Fahrbahn auf sich zuschnellen sah. Als der Wagen die Leitplanke durchbrach und in die Tiefe stürzte, schloss Petra die Augen. Sie sah ihren Vater. Er lächelte ihr zu.
54. Kapitel
A nna saß neben Beate an Sophies Krankenbett. Zwei Mütter, die gemeinsam um das Leben ihrer Töchter bangten, deren Schicksale auf so tragische Weise miteinander verbunden waren. Anna streichelte über Sophies Hand und lauschte dem rhythmischen Gleichklang des Beatmungsgerätes, das Sophie über einen Tubus
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