Gezaehmt im Bett einer Lady
Blattgold. Und der Handwerkskunst. Nichts davon erklärt, warum es so starke Gefühle hervorruft.“
„Es weckt starke Gefühle in dir, weil du sentimental bist“, sagte er. Zögernd richtete er seinen Blick wieder auf die Ikone.
Er räusperte sich und fuhr in dem geduldigen Ton eines Lehrers fort: „Man ist an das russische Schmollen gewöhnt. Aber das hier ist etwas ganz anderes, weißt du. Der kleine Jesus sieht wirklich mürrisch und trotzig aus, als sei er es leid, Modell zu sitzen, oder hungrig - oder weil er einfach Aufmerksamkeit will. Und seine Mama zeigt nicht die gewohnte tragische Miene. Sie runzelt fast die Stirn. Vielleicht auch leicht verärgert, weil der Junge so unruhig ist. Trotzdem gibt es da die Andeutung eines Lächelns, wie um ihn zu beschwichtigen oder ihm zu verzeihen. Weil sie versteht, dass er es nicht besser weiß. Und der unschuldige Bengel nimmt das alles für selbstverständlich: ihr Lächeln, ihren Trost, ihre Geduld ... ihre Verzeihung. Er weiß nicht, was er da hat, ganz zu schweigen, dass er dafür dankbar sein sollte. Und so quengelt er und blickt finster ... in der seligen Unwissenheit eines Kindes.“
Dain machte eine Pause, denn im Raum war es mit einem Mal zu still, und die Frau neben ihm zu reglos.
„Es ist eine vollkommen natürliche und menschliche Pose“, sprach er weiter, sorgsam darauf achtend, seine Stimme leicht und neutral zu halten. „Wir vergessen, dass dieses Paar hier Heilige zeigt, und konzentrieren uns Stattdessen auf das kleine menschliche Drama innerhalb der künstlerischen Konventionen und reichen Verzierungen. Wenn diese Madonna und ihr Kind einfach nur heilig wären, wäre die ganze Arbeit nicht halb so selten und interessant.“ „Ich verstehe, was du meinst“, sagte seine Frau leise. „Der Künstler hat die Persönlichkeit seiner Modelle eingefangen und die Liebe der Mutter für ihren kleinen Jungen, die Stimmung des Augenblicks zwischen ihnen.“
„Das ist es, was deine Gefühle anspricht“, erklärte er. „Selbst ich finde sie faszinierend und kann es mir nicht verkneifen, darüber nachzudenken, was ihre Mienen ausdrücken - obwohl sie lange schon tot sind und die Wahrheit kaum von Bedeutung ist. Das ist das Talent des Künstlers: Er bringt einen zum Nachdenken. Es ist fast so, als spielte er dem Betrachter einen Streich, nicht wahr?“
Er schaute von der Ikone zu Jessica, zwang sich zu einem Lachen, als ob dieses herzerweichend schöne Porträt von Mutterliebe einfach nur ein amüsantes künstlerisches Rätsel sei.
Sie drückte ihm die Schulter. „Ich wusste, dass mehr dahintersteckt, als mein ungeübtes Auge sieht“, bemerkte sie zu sanft. „Du bist so scharfsinnig, Dain.“ Dann entfernte sie sich rasch und kehrte zu ihrem Stuhl zurück.
Aber nicht rasch genug. Er hatte es gesehen, den flüchtigen Moment, ehe sie es verborgen hatte. Er hatte es in ihren Augen aufflackern sehen, so wie er es auch in ihrer Stimme gehört hatte: Kummer ... Mitleid.
Und sein Herz wand sich und schwelte vor Wut. Auf sich selbst, weil er irgendwie zu viel gesagt hatte, und auf sie, weil sie zu schnell gewesen war - schneller als er schneller gemerkt hatte, was er gesagt, und, noch schlimmer, was er gefühlt hatte.
Aber er war kein Kind mehr, rief sich Dain in Erinnerung. Er war nicht hilflos. Egal was er unbeabsichtigt seiner Ehefrau verraten hatte, sein Wesen hatte sich nicht geändert. Er hatte sich nicht geändert, kein bisschen.
In Jessica hatte er etwas Gutes gefunden, das war alles, und er war entschlossen, das meiste daraus zu machen. Er würde natürlich zulassen, dass sie ihn glücklich machte. Aber er würde sich eher bei lebendigem Leib die Haut abziehen lassen und in Öl sieden lassen, bevor er zuließ, dass seine Frau ihn bemitleidete.
15. Kapitel
In diesem Moment betrat Andrews das Zimmer, zusammen mit Joseph. Das Beefsteak und das Ale wurden vor Seine Lordschaft gestellt. Andrews schnitt das Steak, während Jessica, die diesen kleinen Dienst hatte übernehmen wollen, nutzlos auf ihrem Platz saß, so tat, als äße sie ihr Frühstück, das wie Sägemehl schmeckte und sich in etwa auch so leicht schlucken ließ.
Sie - die Expertin darin, Männer zu begreifen - verstand ihren Ehemann so gut wie gar nicht. Selbst letzte Nacht, als sie entdeckt hatte, dass er nicht eitel war, wie sie es ursprünglich gedacht hatte, und dass die Liebe von Frauen ihm nicht zugeflogen war, wie sie angenommen hatte, hatte sie nicht begriffen, wie
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