Gezaehmt im Bett einer Lady
nicht wieder zu Gesicht bekommen.
Jetzt, ganze zwei Wochen nachdem sie Paris verlassen hatte - nach vierzehn Tagen, in denen ihr zukünftiger Ehemann entschlossen gewesen schien, ihre Existenz zu ignorieren -, traf er um zwei Uhr am Nachmittag ein und erwartete, dass sie alles stehen und liegen ließ, um sich um ihn zu kümmern.
„Er möchte, dass ich ihn auf eine Ausfahrt in den Park begleite?“, erkundigte Jessica sich empört, als ihre Tante aufgeregt in den Salon zurückkehrte, um ihr Dains Botschaft auszurichten. „Einfach so? Ihm ist plötzlich wieder eingefallen, dass es mich gibt, und er erwartet jetzt, dass er nur mit den Fingern schnipsen muss, und ich komme angelaufen? Warum hast du ihm nicht gesagt, er solle sich zum Teufel scheren?“
Tante Louisa sank in einen Stuhl und presste die Finger gegen ihre Stirn. In den wenigen Minuten, die sie mit ihm verbracht hatte, war es Dain offensichtlich gelungen, ihr sonst durchaus despotisches Wesen restlos aus der Fassung zu bringen.
„Jessica, bitte, sieh aus dem Fenster“, sagte sie.
Jessica legte ihren Stift auf den Damenschreibtisch, an dem sie mit dem Menü für das Hochzeitsfrühstück gerungen hatte, stand auf und trat ans Fenster. Auf der Straße unten sah sie einen eleganten schwarz lackierten Zweispänner. Davor gespannt waren zwei sehr große, sehr temperamentvolle schwarze Wallache, die am Zaumzeug zu halten Bertie sich redlich Mühe gab. Sie schnaubten und tänzelten unruhig umher. Jessica hegte keinen Zweifel daran, dass sie in wenigen Minuten ihrem Bruder auf dem Kopf herumtrampeln würden.
Drei Minuten später hatte eine wutschnaubende Jessica einen Hut auf dem Kopf und ihre grüne Pelisse bis zum Hals über ihrem Tageskleid zugeknöpft.
Weitere zwei Minuten später wurde ihr auf den Kutschensitz geholfen. Oder genauer gesagt wurde sie geschubst, denn Dain schwang seinen hünenhaften Körper unverzüglich neben sie auf den Sitz, sodass sie sich in die Ecke zwängen musste, wollte sie seiner breiten Schulter ausweichen. Selbst dann war es in dem engen Raum unmöglich, dem körperlichen Kontakt zu entgehen. Seine unbrauchbare linke Hand lag auf seinem Oberschenkel; dieses muskelbepackte Körperteil presste sich kühn gegen sie, wie es auch der angeblich lädierte Arm tat. Seine Wärme drang durch den dicken Stoff ihres Mantels und auch den des Musselinkleides darunter, sodass ihre Haut zu prickeln begann.
„Bequem?“, fragte er mit spöttischer Höflichkeit.
„Dain, diese Kutsche ist nicht groß genug für uns beide“, erklärte sie verärgert. „Du erdrückst mich.“
„Vielleicht setzt du dich dann besser auf meinen Schoß“, erwiderte er.
Sie unterdrückte den Drang, ihm das Lächeln aus dem Gesicht zu ohrfeigen, und wandte ihre Aufmerksamkeit ihrem Bruder zu, der immer noch die Pferde am Zaumzeug hielt. „Verflixt, Bertie, schau, dass du da fortkommst!“, fuhr sie ihn an. „Willst du wirklich, dass sie dich umwerfen und du mit dem Kopf auf dem Pflaster aufschlägst?“
Dain lachte und ließ den Tieren die Zügel schießen; Bertie stolperte gerade noch rechtzeitig aus dem Weg auf den sicheren Gehsteig.
Einen Augenblick später schoss der Zweispänner in halsbrecherischem Tempo über die überfüllten Straßen im West End. Eingeklemmt zwischen dem hohen gepolsterten Rand der Sitzbank und dem eisenharten Körper ihres teuflischen Verlobten, wusste Jessica, dass sie jedenfalls nicht in der Gefahr schwebte, herauszufallen. Sie lehnte sich zurück und beobachtete Dains Höllentiere.
Es waren die schlechtest gelaunten Pferde, die sie je in ihrem Leben gesehen hatte. Sie schnaubten und warfen die Köpfe zurück, hatten gegen jeden und alles, das ihnen in den Weg kam, etwas einzuwenden. Sie versuchten Fußgänger niederzutrampeln. Sie tauschten sogar offensichtlich Beleidigungen mit allen anderen Pferden aus, die ihnen begegneten. Sie versuchten Laternenpfähle und die Begrenzungspfosten am Gehweg umzuwerfen, und bemühten sich, mit jedem Gefährt zusammenzustoßen, das die Unverfrorenheit besaß, dieselbe Straße wie sie zu benutzen.
Selbst als sie den Hydepark erreichten, verrieten die Tiere keine Anzeichen von Ermüdung. Sie versuchten die Arbeiter umzurennen, die gerade letzte Hand an den neuen Torbogen an Hydepark Corner legten. Sie drohten Rotten Row hinabzustürmen - wo kein Gefährt als das des Königs erlaubt war.
Allerdings hatten sie mit keinem ihrer teuflischen Vorhaben Erfolg. Obwohl er stets bis zur letzten
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