Gezähmt von sanfter Hand
anders konnte sie seine Gesten, seine Worte in jenen kurzen Augenblicken, bevor er das Bewusstsein verloren hatte, nicht auslegen. Richard hatte sie so seltsam angesehen, so forschend, so eindringlich, dann hatte er Worboys beauftragt, sofort nach seinem Bruder zu schicken. Und dann hatte er versucht, mit dem Finger auf sie zu zeigen.
Ob der leidvolle Ausdruck, der sich dabei auf seinen Zügen abgezeichnet hatte, dem Gift zuzuschreiben gewesen war oder dem Schmerz über ihren vermeintlichen Verrat, das konnte sie nicht entscheiden.
Aber … Catriona atmete tief durch, presste energisch die Lippen zusammen, trat ihre Röcke aus dem Weg und nahm ihre Wanderung durch den Raum wieder auf. Sie würde sich durch Richards vorübergehenden Wahnsinn nicht niederdrücken und allen Mutes berauben lassen. Sie würde ihre kostbare Zeit und Energie nicht damit verschwenden, sich verletzt oder beleidigt zu fühlen, und auch nicht damit, verzweifelt die Hände zu ringen oder in Tränen zu zerfließen.
Der dumme, törichte Kerl konnte sich das nicht leisten – er könnte sterben, wenn sie nicht auf der Höhe war. Wenn sie nicht stark war und wachsam und äußerst belastbar.
Er könnte so oder so sterben.
Catriona verdrängte diesen erschreckenden Gedanken energisch und besann sich stattdessen noch einmal auf ihre Entscheidung, wie sie mit dem geistigen Ausfall ihres Ehemannes am besten umgehen würde. Sobald er seinen Verstand wieder einigermaßen beisammen hatte, würde sie ihn ganz einfach an sein Versprechen erinnern – und ihn zwingen, mit ihr zu reden. Und sie würde mit ihm reden. Und immer weiter auf ihn einreden, so lange, bis sie die ganze Sache wieder in Ordnung gebracht hatte; bis sie den schrecklichen Verdacht aus der Welt geschafft und Richard gehörig den Kopf zurechtgerückt hatte. Es war natürlich völlig absurd, sich einzubilden, dass sie ihn vergiftet hätte – niemand sonst im Haushalt, noch nicht einmal Worboys, glaubte das.
Aber nur Richard wusste, dass sie ihm zuvor schon einmal heimlich ein Mittel in den Wein gemischt hatte – sie konnte sich also sehr gut vorstellen, dass er sich in jenem Augenblick verwirrter Benommenheit, in dem das Gift darum gekämpft hatte, ihm vollends den Verstand zu rauben, plötzlich wieder an diese Tatsache erinnert und dann prompt und ohne nachzudenken daraus geschlossen hatte, dass sie, Catriona, auch diesmal ihre Finger im Spiel gehabt haben musste.
Sie konnte ihm verzeihen – aber sie hatte nicht die Absicht, zuzulassen, dass ihr früheres Vergehen im Verein mit Richards drogeninduzierter Benommenheit zusammenwirkte, um eine trennende Mauer zwischen ihnen zu errichten.
Sie würde mit ihm sprechen, würde so lange auf ihn einreden, bis sie diese Mauer wieder zum Einsturz gebracht und ihn von ihrer Unschuld überzeugt hatte.
Auf ihrem Weg zu Eintracht und Versöhnung ragte jedoch drohend eine Hürde auf – sehr wahrscheinlich war es sogar eine ziemlich große Hürde; zumindest stellte sie sich vor, dass Richards Bruder groß sein würde. Groß und energisch. Stark. Mächtig. Daran gewöhnt, dass man ihm gehorchte, dass seine Anordnungen widerspruchslos befolgt wurden.
Das Gesicht zu einer Grimasse verziehend, machte Catriona auf dem Absatz kehrt und marschierte um das Bett herum zur anderen Seite, einfach nur um des Tapetenwechsels willen; um den Raum zur Abwechslung mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Sie war sich jetzt nicht mehr so ganz sicher, ob sie das Richtige getan hatte, als sie Worboys auch noch dazu ermutigt hatte, Richards Anweisung Folge zu leisten und seinen Bruder, den Herzog, kommen zu lassen. Zu jenem Zeitpunkt war sie noch der Überzeugung gewesen, dass es keinen Grund gab, weshalb sie sich dem Verhör nicht stellen könnte, denn schließlich hatte sie ja nichts zu verbergen. Leider hatte sie in dem Moment auch nicht gründlich nachgedacht – hatte sich überhaupt nicht überlegt, was passieren könnte, wenn Richards Bruder – ein Mann, der allen als Devil bekannt war und der über eine gehörige Portion an Einfluss und Autorität verfügte – darauf bestand, Richard aus ihrer Obhut zu entfernen. Wenn er entschied, dass Richard, noch immer bewusstlos, in London besser aufgehoben sein würde.
Würde sie sich einer solchen Entscheidung widersetzen können? Würde sie in der Lage sein, sich dagegen zu wehren?
Wenn Richard fortgebracht werden würde, bevor sie dazu kam, ihm begreiflich zu machen, dass sie ihn nicht vergiftet hatte
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