Gezähmt von sanfter Hand
Weile schweigend nebeneinander her, bis er schließlich antwortete: »Im Übrigen glaube ich, es ist genau umgekehrt.«
Verwirrt schaute Catriona zu ihm hoch; Richard fing ihren Blick auf: »Die Cynsters sind das, was sie sind, eben weil die Familie uns so wichtig ist.« Dann starrte er wieder auf den Boden, und sie schlenderten weiter. Catriona versuchte gar nicht erst, ihre Neugier zu verbergen, und hielt ihren Blick aufmerksam auf Richards Gesicht gerichtet; seine Worte hallten in ihren Gedanken nach.
Ganz leicht verzog er das Gesicht zu einer Grimasse. »Cynsters sind von Natur aus habgierig – wir brauchen einfach Besitztümer – schließlich lautet das Familienmotto ›Erlangen und Erhalten‹ . Aber schon vor langer Zeit war das Motto nicht – oder nicht nur – materieller Art.« Er machte eine Pause. Als er fortfuhr, sprach er langsam und deutlich, sein Blick nachdenklich auf den Schnee geheftet. »Wir waren schon immer ein Geschlecht von Kriegern, aber wir kämpfen nicht bloß um Land oder materiellen Reichtum. Vielmehr gibt es unter uns eine Sichtweise, die jedem von uns schon von frühester Jugend an eingehämmert wurde, nämlich dass Erfolg – echter Erfolg – bedeutet, noch etwas viel Größeres zu erlangen und zu erhalten. Und dieses Größere ist die Zukunft – sich immer wieder selbst zu übertreffen, ist zwar gut und schön, aber man muss gleichzeitig überleben . Denn die nächste Generation ist es doch, die unsere Zukunft darstellt. Und solange man diese Zukunft nicht sichert, ist materieller Erfolg kein echter Erfolg.«
Es schien fast so, als ob er Catriona völlig vergessen hatte. Sorgsam darauf bedacht, die Stimmung, in der er sich gerade befand, nicht zu zerstören, ging Catriona schweigend neben ihm her. Dann blickte er auf, kniff angesichts des hellen Lichts die Augen zusammen, und in diesem Augenblick erinnerte sie sein Gesicht an den Mann in ihren Träumen – den Krieger mit dem in die Ferne gerichteten Blick.
»Man könnte sagen«, murmelte er, »dass ein Cynster ohne eigene Familie versagt hat.«
Mittlerweile hatten sie das Ende des Gebirgskamms erreicht; der Weg führte um eine Kurve und wand sich dann wieder den Hang hinauf, um sich schließlich zwischen den Bäumen zu verlieren. Richard und Catriona blieben stehen; von den weißen Bergkuppen wehte ein frischer, kühler Wind herüber.
In vollkommener Harmonie bewunderten sie den majestätischen Anblick. Catriona wies ihn auf diverse Gipfel und Wahrzeichen hin, erklärte ihre Namen und hob ihre Besonderheiten hervor. Aufmerksam lauschte Richard ihren Worten, seine blauen Augen waren gegen den Wind und das helle Licht zu schmalen Schlitzen verengt. Während er die Landschaft betrachtete, blickte Catriona ihn verstohlen an.
Obgleich Richard zuweilen umgänglich und aufgeschlossen wirkte, zeigte sein Gesichtsausdruck, wie Catriona bereits bemerkt hatte, selten eine spontane Regung. In Wahrheit war er äußerst zurückhaltend und hielt seine Gefühle hinter einer Maske verborgen, jener Fassade, die er der Welt präsentierte. Es waren immer nur Empfindungen, die er sich auch tatsächlich zu zeigen gestattete. Selbst sein schlagfertiger und souveräner Charme wurde sorgfältig kultiviert.
Als er jedoch von seiner Familie gesprochen hatte – und von der Institution der Familie im Allgemeinen –, hatte er seine Maske heruntergelassen. In diesem Augenblick hatte Catriona den Mann dahinter entdeckt und ein wenig von seiner Verletzlichkeit. Dieser intime Einblick in sein Innerstes hatte sie seltsam berührt und sie dazu veranlasst, ihre eigenen Empfindungen zu zügeln – ehe sie fortgerissen wurde. Denn Richard Cynster war die Versuchung in Person – und seine Offenheit hatte ihn noch um einiges anziehender gemacht und seiner Attraktivität eine neue Dimension verliehen.
Und das war so ziemlich das Letzte, was Catriona jetzt gebrauchen konnte.
Mit einem nur unzureichend unterdrückten Seufzer wandte sie sich schließlich wieder um. »Wir sollten jetzt besser wieder zurückgehen.«
Richard wandte sich ebenfalls um, warf einen raschen Blick auf den nach oben führenden Pfad und zwang sich, seine aufkeimende Leidenschaft zu unterdrücken. Er bot Catriona seinen Arm, um sie den ersten Abschnitt des Weges hinaufzugeleiten, der durch den tauenden Schnee gefährlich glatt geworden war. Er musste sich sehr beherrschen, keinerlei Annäherungsversuche zu unternehmen, während er sich an ihre sanfte Wärme erinnerte – und stattdessen
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