Gezeiten der Liebe
war’s. Irgendwann einmal hab’ ich zu ihr gesagt: ›Stella, dein Ethan macht der kleinen Monroe schöne Augen.‹ Und sie lachte und sagte, es sei zwar eine kindliche Schwärmerei, aber manchmal komme dabei die wahre Liebe heraus. Ich konnte mir nie erklären, warum Ethan sich nicht eingemischt hat, als Grace sich mit diesem Jack Casey einließ. Den konnte ich nie leiden.«
»Er war kein schlechter Kerl, nur schwach. Schau mal da.« Lucy senkte verschwörerisch die Stimme. Sie wies mit dem Kopf auf Ethan und Grace, die Hand in Hand wieder auftauchten. Die Kleine schlief an Ethans Schulter.
»An dem ist nichts Schwaches dran.« Mutter Crawford hob anzüglich mit den Augenbrauen. »Und im Bett ist ein zögerlicher Mann nicht schlecht, was Lucy?«
Lucy prustete los. »Und ob, Mutter Crawford. Und ob.«
Grace, die zum Glück nichts von den Spekulationen
ahnte, die sich um einen harmlosen Spaziergang rund ums Haus an einem heißen Sommernachmittag rankten, blieb stehen, um Eistee einzugießen. Bevor sie das erste Glas zur Hälfte gefüllt hatte, kam ihre Mutter strahlend herbeigeeilt.
»Ach, laß mich doch mal die süße Kleine halten. Es gibt nichts Schöneres, als ein schlafendes Kind auf dem Schoß zu wiegen.« Sie nahm Ethan die Kleine ab, während sie hektisch und mit leiser Stimme sprach. »Ein ausgezeichneter Vorwand, um mal eine Weile im Schatten zu sitzen und still zu sein. Nancy Claremont hat so lange auf mich eingeredet, daß mir fast die Ohren abgefallen sind. Außerdem sollt ihr jungen Leute euch in Ruhe amüsieren.«
»Ich wollte sie gerade ins Bett bringen ...«, begann Grace, doch ihre Mutter winkte ab.
»Nicht nötig, nicht nötig. Ich habe kaum mal die Gelegenheit, sie im Arm zu halten, wenn sie still ist. Geht ihr nur weiter spazieren. Aber ihr solltet nicht zu lange in der Sonne bleiben. Das ist gefährlich.«
»Gute Idee«, sagte Ethan nachdenklich, als Carol davoneilte und die schlafende Aubrey an sich drückte. »Uns würde es auch guttun, mal eine Weile ruhig im Schatten zu sitzen.«
»Tja ... na gut, aber ich kann nur noch eine Stunde bleiben. Dann muß ich mich auf den Weg machen.«
Er hatte sie sanft zu den Bäumen gezogen und gedacht, daß dort ein abgeschiedener Fleck zu finden wäre, ein lauschiges Plätzchen, wo er sie noch einmal küssen könnte. Plötzlich blieb er stehen und blickte sie stirnrunzelnd an. »Auf den Weg machen – wohin?«
»Zur Arbeit. Ich muß heute in den Pub.«
»Heute ist dein freier Abend.«
»Normalerweise schon, aber ich schiebe ein paar Überstunden.«
»Du arbeitest doch ohnehin schon zuviel.«
Sie lächelte zerstreut – und dann erleichtert, als der Schatten, in den sie eintauchten, die drückende Hitze linderte. »Es sind nur ein paar Stunden. Shiney hat mir angeboten, durch Überstunden auszugleichen, was ich für den Wagen bezahlen mußte. Oh, ist das angenehm hier.« Sie schloß die Augen und sog die feuchte, kühle Luft tief in sich ein. »Anna sagte, daß du und deine Brüder später musizieren wollen. Schade, daß ich das verpasse.«
»Grace, ich hab’ dir doch gesagt, wenn du Geld brauchst, helfe ich dir.«
Sie schlug die Augen auf. »Ich brauche deine Hilfe nicht, Ethan. Ich kann arbeiten.«
»Ja, das kannst du. Du tust ja fast nicht anderes.« Er entfernte sich von ihr und kam wieder zurück, als wolle er so abschütteln, was ihm zu schaffen machte. »Ich hasse es, daß du dort arbeitest.«
Ihr Rücken versteifte sich – sie spürte, wie er sich Wirbel um Wirbel anspannte. »Ich will nicht schon wieder über dieses Thema mit dir streiten. Es ist eine ehrliche Arbeit.«
»Ich streite nicht, ich sage es dir nur.« Er kam zu ihr zurück, und die Wut, die in seinen Augen loderte, ließ sie überrascht zurückweichen.
»Das hab’ ich alles schon mal gehört«, sagte sie ruhig. »Und es ändert nichts an den Tatsachen. Ich arbeite dort, und ich werde auch weiterhin dort arbeiten.«
»Du brauchst jemanden, der für dich sorgt.« Es quälte ihn unsagbar, daß er es nicht tun konnte.
»O nein.«
Und ob es so war. Sie hatte schon wieder dunkle Ringe unter ihren grünen Augen, und jetzt sagte sie ihm auch noch, daß sie bis zwei Uhr früh vollbeladene Tabletts durchs Lokal schleppen wollte. »Hast du Dave schon bezahlt?«
»Die Hälfte.« Es war demütigend. »Den Rest hat er mir großzügigerweise bis zum nächsten Monat gestundet.«
»Du wirst ihm kein Geld mehr geben.« Soviel zumindest konnte er für sie tun. Und er
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