Gezeiten der Liebe
Musik.«
Er ächzte nur und wünschte, sie würde sich beeilen, damit er sich schleunigst verdrücken konnte. »Du hast Aubrey schon ins Bett gebracht?«
»Sie ist bei meiner Mutter.«
Sein Blick, bisher starr auf die Zimmerdecke geheftet, richtete sich plötzlich auf sie. »Sie ist nicht hier?«
»Nein. Sie übernachtet zum ersten Mal auswärts. Ich hab’ schon zweimal angerufen.« Sie lächelte ein wenig und spielte am obersten Knopf ihres Kleides, auf eine Art,
daß Ethan der Kopf schwirrte. »Ich weiß ja, sie ist nur wenige Kilometer entfernt und dort so sicher aufgehoben wie in ihrem eigenen Bettchen, aber ich konnte einfach nicht anders. Das Haus ist so verändert, wenn sie mal nicht hier ist.«
Gefährlich – das war das Wort, das ihm dazu einfiel. Das hübsche kleine Puppenhaus hatte sich auf einmal in ein tödliches Minenfeld verwandelt. Nebenan schlief kein unschuldiges kleines Mädchen. Sie waren allein mit der schluchzenden Musik, den schimmernden Kerzen.
Und obendrein steckte Grace in einem blaßrosa Kleid, das ihn förmlich dazu aufforderte, nacheinander die kleinen weißen Knöpfe zu öffnen ...
Seine Fingerspitzen zuckten.
»Ich bin so froh, daß du vorbeigekommen bist.« All ihren Mut zusammen nehmend, trat sie einen Schritt näher. Sie hatte Macht über ihn, das durfte sie nicht vergessen. »Ich bin ein bißchen melancholisch.«
Er wich zurück. Jetzt prickelte mehr als nur seine Fingerspitzen. »Ich hab’ gesagt, daß ich gleich wieder da bin.«
»Du könntest doch auf einen ... Kaffee bleiben oder so.«
Kaffee? Wenn sein Blutdruck noch eine Spur höher kletterte, würde er eine Tarantella tanzen. »Ich glaube nicht...«
»Ethan, hör zu – ich kann dir nicht aus dem Weg gehen, wie du es von mir verlangt hast. St. Chris ist zu klein, und uns verbinden zu viele Dinge.« Sie spürte, wie ihr Puls hektisch an ihrem Hals pochte. »Und ich will es auch gar nicht. Ich will dir nicht aus dem Weg gehen, Ethan.«
»Ich sagte doch, ich habe gute Gründe.« Die ihm auch bestimmt wieder einfallen würden, wenn sie nur endlich aufhörte, ihn aus diesen riesengroßen grünen Augen anzusehen. »Ich will dich nur beschützen, Grace.«
»Du brauchst mich nicht zu beschützen. Wir sind beide erwachsen. Und beide allein.« Sie kam näher und nahm
den Duft der Seife wahr, die er nach der Arbeit beim Duschen benutzt hatte, wie stets vermischt mit den Gerüchen der Bucht. »Aber heute nacht will ich nicht allein sein.«
Er wich ihr aus. Würde er sie nicht besser kennen, hätte er gedacht, daß sie sich an ihn heranmachen wollte. »Mein Entschluß steht fest.« Aber dummerweise hatte jetzt nicht sein Verstand die Oberhand, sondern sein Unterleib. »Halte dich doch wenigstens ein bißchen zurück, Grace.«
»Mir kommt es so vor, als hätte ich mich mein Leben lang zurückgehalten. Ich will mich nicht mehr zurückhalten, Ethan, was auch immer das heißen mag. Ich bin es leid, im Hintergrund zu stehen und unsichtbar zu sein. Wenn du mich nicht willst, muß ich mich damit abfinden. Aber wenn doch ...« Sie trat noch näher und legte die Hand auf sein Herz, das wild pochte. »Wenn doch, warum nimmst du mich dann nicht?«
Er stieß mit dem Rücken gegen den Tresen. »Hör auf ... Du weißt nicht, was du da tust.«
»Ich weiß ganz genau, was ich tue«, fauchte sie beinahe, plötzlich wütend auf sie beide. »Ich stelle mich nur ziemlich ungeschickt an, da du lieber an meiner Küchenwand hochklettern würdest, als mich auch nur anzutippen. Was meinst du denn, was dann geschehen würde? Daß ich in tausend Stücke zerspringe? Ich bin eine erwachsene Frau, Ethan. Ich war schon mal verheiratet, ich habe ein Kind. Ich weiß, was ich von dir verlange, und ich weiß auch, was ich will.«
»Ich weiß, daß du eine erwachsene Frau bist. Ich hab’ doch Augen im Kopf.«
»Dann benutze sie auch und sieh mich an.«
Wie konnte er es ihr verweigern? Wie hatte er jemals glauben können, daß er sich dagegen wehren könnte? Vor ihm, in Licht und Schatten getaucht, stand alles, was er
sich jemals erträumt hatte. »Ich sehe dich an, Grace.« Und stehe dabei mit dem Rücken zur Wand, dachte er. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals.
»Vor dir steht eine Frau, die dich begehrt, Ethan. Eine Frau, die dich braucht.« Sie sah, wie sich bei diesen Worten seine Augen veränderten, glitzerten, sich verdunkelten, sich nur auf sie konzentrierten. Unsicher holte sie Luft und trat zurück. »Vielleicht begehrst und brauchst
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