Gezeiten der Sehnsucht - Feehan, C: Gezeiten der Sehnsucht - Dangerous Tides (4 - Libby)
haben, habe ich ihn nach Hause geholt. Ich habe seine gesamten Unterlagen hier.«
»Die würde ich gern sehen, bevor ich mir Ihren Sohn ansehe. «
Edward nahm augenblicklich einen großen Umschlag von seinem Couchtisch und reichte ihn ihr. Libby begann, den dicken Ordner aufmerksam durchzulesen. »Er hat Fieberanfälle, Juckreiz, Kopfweh und Gelenkschmerzen, die sich ständig
verlagern.« Ihre Stimme klang nachdenklich, als sie laut las, und zwischen ihren Augenbrauen bildeten sich Falten. »Ich sehe hier, dass Sie nie in Afrika gewesen sind. Ich weiß aber, dass Sie ausgedehnte Reisen unternehmen.«
»Warum fragt uns das jeder? Nein, ich war nie auch nur in der Nähe von Afrika und meine Frau auch nicht.«
»Hat jemand das Herz Ihrer Frau untersucht?«
»Es geht um unseren Sohn. Meiner Frau geht es nicht annähernd so schlecht.«
»Es ist mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Ihrem Sohn dasselbe fehlt wie Ihrer Frau. Geben Sie mir noch ein paar Minuten Zeit. Dann würde ich gern sowohl ihn als auch Ihre Frau untersuchen, falls sie zur Verfügung steht.«
»Sie ist bei Robbie. Sie weicht kaum noch von seiner Seite.« Ed rieb sich wieder das Gesicht und lugte Tyson durch seine Finger an. »Ich habe keine Zeit dafür übrig, Menschen zu drohen. Ich weiß nicht, weshalb jemand hinter Sam her sein könnte, aber das einzige Gespräch, das wir miteinander geführt haben, war, als ich ihn gebeten habe, mit Dr. Drake zu reden, um ein Treffen zu arrangieren. Ich habe oft bei dir angerufen, bin aber nie durchgekommen. Da Eva und Robbie krank sind, denke ich kaum noch an etwas anderes.«
»Ich höre den Anrufbeantworter nicht ab.«
»Kann sie tatsächlich Menschen heilen?«
Edwards Tonfall war so flehentlich, dass Ty zusammenzuckte. Er warf einen Blick auf Libby. Es stand außer Frage, dass sie Eds Schmerz und spürte – und seine Verzweiflung. Libbys Gesicht war für ihn schon immer wie ein offenes Buch gewesen, und jetzt sah er, dass sie sich eine Meinung bildete. Libby war bei Ärzte ohne Grenzen Mitglied und auch bei der Weltgesundheitsorganisation. Sie hatte für das Zentrum zur Krankheitsbekämpfung gearbeitet, das dem amerikanischen Gesundheitsministerium unterstellt war, und sie war sowohl mit einheimischen als auch mit exotischen Krankheiten vertraut,
weitaus mehr als die meisten Ärzte. Er fragte sich, ob ihre Heilkräfte sie bei der Diagnose unterstützen, aber er kam nicht dazu, sie zu fragen.
»Mr Martinelli«, begann Libby, und die Verzweiflung war aus ihrer Stimme herauszuhören.
»Libby«, unterbrach Tyson sie entschlossen.
Tyson merkte, dass er selbst auf den Schmerz und die Ermattung reagierte, die Edward so offensichtlich verströmte. Er konnte sich vorstellen, wie schwierig es für Libby sein würde, sich einer solchen Situation zu entziehen, zumal sie selber noch sehr geschwächt war. Er durfte nicht zulassen, dass sie ihre eigene Gesundheit oder möglicherweise sogar ihr Leben gefährdete. »Libby ist eine brillante Ärztin, Ed. Wenn es möglich ist herauszufinden, was hier vorgeht, vertraue ich darauf, dass sie diejenige sein wird, die dahinterkommt.«
Libby sah ihm in die Augen, und sein Herz blieb fast stehen. Noch nie hatte ihn jemand so liebevoll angesehen. Langsam begann er zu glauben, Libby Drake könnte ihn lieben, und seine sorgfältige Planung, wie er sie dazu bringen könnte, einzusehen, dass sie ihn brauchte, war nicht annähernd so wichtig, wie er anfangs geglaubt hatte.
Edward schüttelte den Kopf. »Ich habe jeden Glauben an Ärzte verloren.«
»Geben Sie nicht auf, Mr Martinelli«, sagte Libby und stand auf. »Bitte, führen Sie mich zu Ihrem Sohn. Sind Ihre Frau oder Ihr Sohn jemals mit Ihnen ins Ausland gereist?«
»Robbie nicht. Seit seiner Geburt haben wir das Land nie mehr verlassen.«
»In welchem Land waren Sie vorher?
»Ich bin durch Südamerika gereist. Ich wollte den Regenwald sehen. Eva ist nach Mexiko geflogen, um mich anschließend dort zu treffen, und ich kann Ihnen gleich sagen, nein, sie ist nicht von Insekten gestochen worden. Sie ist nicht einmal in die Nähe von Insekten gekommen. Ich habe sehr bewusst auf
ihre Gesundheit geachtet und sie im besten Hotel vor Ort untergebracht. Dieselben Fragen haben uns die Ärzte immer wieder gestellt.«
»Nur so können wir zu einer klaren Diagnose gelangen, Mr Martinelli.« Libby ging ihm in das Zimmer voraus, in dem eine Krankenschwester an einem Bett saß und eine junge Frau neben einem kleinen
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