Gezeiten der Sehnsucht - Feehan, C: Gezeiten der Sehnsucht - Dangerous Tides (4 - Libby)
einen Blick auf Libby, doch die Sicht wurde ihm teilweise von zwei stämmigen Männern verstellt. »Was ist hier tatsächlich vorgefallen, Ty? Ich habe gehört, dass ein Beamter angegriffen worden ist, und ich bin schleunigst hergekommen. Was zum Teufel ist Jonas zugestoßen? Wer täte so etwas?«
»Ich habe es dir doch schon gesagt. Jemand hat auf ihn geschossen. Es sah nach zahlreichen Schussverletzungen aus. Keiner weiß warum, oder falls sie es doch wissen, sagen sie nichts.« Tyson fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Zu seinem Erstaunen zitterte er. »Ich kapiere das einfach nicht, Sam. Ich weiß, dass sie Menschen nicht durch Handauflegen heilen kann. Das ist nicht möglich, wie wir beide wissen. Libby ist klug. Verdammt klug, und trotzdem bildet sie sich tatsächlich ein, sie könnte Leute einfach so heilen. Mir war bis zu diesem Moment nicht klar, wie fest sie daran glaubt. Andernfalls hätte sie Jonas niemals in Lebensgefahr gebracht.«
Sam zuckte die Achseln. »Die Drakes sind schon immer anders als alle anderen gewesen. Das weiß jeder hier in Sea Haven. Vielleicht lässt sich alles damit erklären, dass sie mit jedem erdenklichen Mittel Aufmerksamkeit auf sich lenken wollen. Sie führen weiß Gott kein unauffälliges Leben und medienscheu sind sie auch nicht gerade.«
Tysons Eingeweide verkrampften sich. Dasselbe Gespräch
hatte er schon einmal mit seinem Cousin geführt, als er ihm gegenüber erstmals sein Interesse an Libby erwähnt hatte. Sam hatte Einwände erhoben, die erstaunlich gut durchdacht waren, und ihm genau erklärt, warum das niemals gut gehen würde. Tyson hatte bei dem Abendessen mit Libby einen Teil dieses Gesprächs wiedergegeben, weil er sie behutsam dahin führen wollte, logisch zu denken. Libby kam ihm nicht vor wie eine Frau, die auf Aufmerksamkeit versessen war. Er hatte sogar noch nie erlebt, dass sie absichtlich die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hätte. Er schüttelte den Kopf. »Das Motiv passt nicht zu ihr, Sam. Sie ist brillant und besitzt große fachliche Kenntnisse. Vielleicht ist es gerade das, was sie anfällig für den Glauben macht, andere durch Handauflegen heilen zu können. «
»Wie du meinst, Ty. Aber wenn wir nicht bald von hier verschwinden, werden wir verhaftet. Dieser Bulle lässt dich nicht aus den Augen, und sein Gesichtsausdruck gefällt mir gar nicht.«
»Geh du nach Hause, Sam. Du hast dir diesen Schlamassel nicht eingebrockt. Ich will mich vergewissern, dass Libby nichts fehlt. Falls ich verhaftet werden sollte, wird BioLab mich früher oder später gegen Kaution auslösen.«
»Da bin ich mir ganz sicher. Für die bist du der große Star«, sagte Sam.
»Ich bemühe mich, den Sarkasmus in deinem Tonfall zu überhören«, sagte Tyson. Er musterte seinen Cousin mit zusammengekniffenen Augen. »Das mit den Anrufen mitten in der Nacht tut mir Leid. Es ist nur so, dass mir dieses Projekt Sorgen bereitet hat …«
»Es ist nicht dein Projekt, Ty. Du hast alle bei BioLab in Aufruhr versetzt. Sie rufen ständig an und schicken Kuriere und tauchen vor meiner Haustür auf, wenn ich gerade versuche, mich mit einer schönen Frau zu amüsieren. Ich stand so dicht davor«, sagte Sam und hielt Daumen und Zeigefinger nah aneinander,
»sie zu überreden, dass sie über Nacht bleibt. Ich bin schon seit Monaten hinter ihr her.«
Tysons Aufmerksamkeit wandte sich wieder den Deputies zu. Da sich die Menschenmenge jetzt zerstreut hatte und auch er die Befehle zu befolgen schien, hatten sie das Interesse an ihm verloren.
»Tut mir Leid«, murmelte Ty. Das war eine Gewohnheit aus seiner Kindheit; es sagte sich leicht, aber sein Bedauern war nie allzu echt. Wenn er zu Hause war, engte er Sam immer in seiner Lebensweise ein, obwohl er so viel Zeit in seinem Kellerlabor verbrachte, dass Sam ihn oft einen Maulwurf nannte. Sam meinte es nie ernst mit einer Frau, und wenn er eine Chancen verpatzt hatte, dann wandte er sich eben der Nächsten zu. Er war charmant und umgänglich und nicht übermäßig ehrgeizig. Er arbeitete mit Begeisterung als Feuerwehrmann für das Forstamt, aber ihm lag nicht besonders viel daran, eine größere berufliche Verantwortung zu übernehmen.
Sam tat den Zwischenfall wie gewohnt mit einem Anflug von Humor ab. »Bloß keine Aufregung, Ty. Wie gewonnen, so zerronnen. Sie wird schon zurückkommen, wenn sie nicht mehr sauer ist.« Er folgte Tysons Blickrichtung und sah Libby an. »Du interessierst dich ja doch nur für Libby Drake, weil sie dir ein
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