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Gezeitengrab (German Edition)

Gezeitengrab (German Edition)

Titel: Gezeitengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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sie immer irgendwie verunsichert? Sie hat ihn vor etwas über einem Jahr kennengelernt. Damals musste Nelson des Nachts, bei einem Unwetter, das Salzmoor überqueren, und Cathbad war der Einzige, der den geheimnisvollen, versteckten Pfad kannte. Er hat Judy damals schwer beeindruckt. Anders als ihre Kollegen hat sie ihn nie als Spinner betrachtet und auch nicht als einen der Verrückten, die sich oft auf Polizeirevieren herumtreiben und ungefragt Hilfe und Rat anbieten. Cathbad strahlt einen Gleichmut aus, der Judy anzieht. Er ruht ganz in sich; er hat es nicht nötig, ständig bei anderen Bestätigung zu suchen. Darren ist dagegen wie ein großer, tapsiger Golden Retriever, der von einem zum anderen rennt und jedem die Hand leckt. Beachte mich, streichle mich, hab mich lieb. Und ja, er will zehn Kinder.
    Das nächste Mal hat Judy Cathbad bei der Sonnwendfeier an der römischen Ausgrabungsstätte in Swaffham getroffen. Sie erinnert sich, dass es eine vergleichsweise wilde Nacht war. Sie hat mit Cathbad getanzt, aber auch mit Clough und mit Ted dem Iren. Cathbad steht ihr noch vor Augen, wie er hoch oben auf dem Berg ein Feuer entzündet hat. Die Flammen in der Dunkelheit, die Gesänge der Druiden, der Duft der verbrannten Kräuter. Ruth war mit ihrem Archäologen-Freund gekommen, diesem Max. Was ist eigentlich aus dem geworden?
    Richtig unterhalten hat sie sich mit Cathbad aber erst bei der Namensweihe. Sie haben über den katholischen Glauben gesprochen, über Heidentum und die Bedeutung von Taufpaten. Judy versucht sich zu erinnern, ob sie ihm bei der Gelegenheit erzählt hat, dass sie heiraten wird. Sie weiß noch, dass sie ihn bei dem Fest sehr attraktiv fand, was vorher nicht der Fall gewesen war. Was hat sich denn verändert?
    Das Gästezimmer ist klein, es stehen nur das schmale Bett, eine Kommode und ein Kleiderschrank darin. Den restlichen Raum nehmen aufeinandergestapelte Umzugskisten ein. Gemütlich ist anders. Auf der Kommode stehen zahllose Cremes und Schminkutensilien. Herrje, kein Wunder, dass Tatjana immer so blendend aussieht. Außerdem ein Buch und das Foto eines wunderschönen Kindes mit dunklen Augen. Das nimmt Judy in die Hand und schaut es sich genauer an. Nach dem Junggesellinnenabend hat sie sich noch lange mit Tatjana unterhalten, doch Tatjana hat mit keinem Wort erwähnt, dass sie ein Kind hätte. Judy dreht das Foto um. Auf der Rückseite steht in verschnörkelter Handschrift: «Jakob, 1995».
    Judy legt sich in das schmale Bett und macht entschlossen das Licht aus. Sie muss ein bisschen schlafen, sonst ist sie morgen zu nichts zu gebrauchen. Nach all dem Schnee sind die Straßen sicher immer noch eine Katastrophe, und die Heimfahrt wird kein Spaß werden. Wahrscheinlich muss sie auch warten, bis Ruth oder Nelson wieder da sind. Sie setzt sich kerzengerade auf.
    «Cathbad?»
    Er steht sofort in der Tür, noch in Armeehose und schwarzem T-Shirt.
    «Cathbad, glaubst du, Nelson ist Kates Vater?»
    Cathbad lässt sich schwer auf das Fußende des Bettes sinken. «Ja», sagt er. «Ja, das glaube ich.»
    «Mein Gott!» Judy denkt darüber nach. Es fühlt sich falsch an, hier mit Cathbad im Dunkeln zu sitzen. Es fühlt sich falsch an, weil es sich so richtig anfühlt.
    «Weiß sonst noch jemand davon?»
    Cathbad schüttelt den Kopf. «Ich glaube nicht. Sie reden ja beide nicht viel über sich.»
    «Aber der Boss ist doch verheiratet.»
    «Und ich bin überzeugt, er liebt seine Frau.»
    «Was ist denn dann mit Ruth?»
    Cathbad seufzt. «Ich glaube, sie liebt ihn. Aber er? Er liebt das Baby, ihm gefällt der Gedanken, noch einmal Vater zu sein. Aber ich glaube, er wird Michelle niemals verlassen.»
    «Cathbad?»
    «Ja?»
    «Kannst du wirklich zaubern?»
    Cathbad lächelt, und seine Zähne glänzen weiß in der Dunkelheit.
    «Was glaubst du denn?»
    «Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.»
    «Ich kann nicht zaubern», sagt Cathbad. «Ich bin nur ein Mensch, der versucht, auf eine ganz bestimmte Weise zu leben. Im Einklang mit der Natur, im Einklang mit den alten Bräuchen. Meine Mutter allerdings …» Er lacht leise. «Vor ein paar hundert Jahren hätte man sie wahrscheinlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sie kannte Zaubersprüche, um Hühner wieder Eier legen zu lassen, treulose Ehemänner zurückzuholen und einen Mann für alle Frauen unwiderstehlich zu machen. Sie war eine richtige Hexe, obwohl sie jeden Sonntag zur Kirche ging. Wir lebten ja in Irland auf dem Land. Da gingen alle zur

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