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Gezeitengrab (German Edition)

Gezeitengrab (German Edition)

Titel: Gezeitengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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haben.
    Schweigend fahren sie über das Salzmoor. Die karge Landschaft aus verkümmerten Bäumen und windgepeitschtem Gras ist wie verwandelt und breitet sich glatt, weiß und eben wie der Mond vor ihnen aus. Die Vögel fliegen auf ihrer verzweifelten Nahrungssuche tiefer als sonst; hin und wieder stürzt sich eine Schnepfe todesmutig in ein Schilfgebüsch, und die Enten watscheln verwirrt über die zugefrorenen Tümpel.
    «Ruth …», setzt Nelson an.
    «Ich kann es kaum erwarten, Kate wiederzusehen», plappert Ruth drauflos. «Mir kommt’s vor, als hätte ich sie Jahre nicht bei mir gehabt. Es war so nett von Judy, den ganzen weiten Weg zu fahren …» Sie bricht ab.
    «Ruth.» Nelson steigt auf die Bremse. Fahr weiter, fleht Ruth ihn stumm an. Ich will dieses Gespräch jetzt nicht führen. Überhaupt nie.
    «Wir müssen reden.»
    «Worüber denn?», fragt Ruth.
    «Worüber? Herrgott! Über alles!»
    «Es gibt doch nichts zu sagen.» Ruth fingert an ihrem Gurt herum. Der Wagen kommt ihr plötzlich viel zu klein vor. Sie weiß, dass Nelson sie ansieht, hat aber aus zahllosen Gründen keine Lust, seinen Blick zu erwidern.
    «Hör mal, Ruth …» Sie hört, wie er seiner Stimme einen schmeichlerischen Ton gibt. «Letzte Nacht, das war … Na ja, es hätte nicht passieren dürfen.»
    «Ich weiß.» Ruth schaut aus dem Fenster. In der Ferne kann sie das Meer ausmachen.
    «Ich meine, es war … toll, aber …»
    «Was meinst du denn mit ‹toll›?»
    «Du weißt doch, was ich meine. Wenn ich nicht verheiratet wäre, sähe die Sache anders aus. Aber das bin ich nun mal. Das wissen wir beide.»
    Wäre es wirklich anders? Irgendwie zweifelt Ruth daran. Ein unverheirateter Nelson würde sie doch keines Blickes würdigen; er wäre viel zu beschäftigt damit, nach einem blonden Michelle-Imitat Ausschau zu halten. Es lag nur an den Umständen, an der räumlichen Nähe und allen möglichen anderen Umschreibungen, die alle auf dasselbe hinauslaufen: dass sie und Nelson einfach nicht füreinander bestimmt sind.
    «Ich weiß, dass du verheiratet bist.» Ruth gibt sich Mühe, ihre Stimme ruhig zu halten. «Und das habe ich auch immer respektiert. Ich habe nie irgendwelche Ansprüche gestellt, auch nicht wegen Kate. Oder?»
    «Ja.»
    «Na also. Es wird nicht wieder vorkommen. Dafür sorge ich schon.»
    Nelson seufzt, und Ruth kann nicht sagen, ob es ein erleichterter oder ein enttäuschter Seufzer ist. Einen Moment lang sitzen sie nur schweigend nebeneinander und schauen auf das endlose weiße Moor hinaus. Dann lässt Nelson den Motor wieder an.
    Vor dem Haus steht Judys Jeep neben Claras tief verschneitem Mini. Ruth springt schon aus dem Wagen, als er noch gar nicht richtig steht. Sie dreht sich nicht einmal mehr nach Nelson um.
    Als sie die Haustür öffnet, findet sie eine skurrile häusliche Szene vor. Clara sitzt mit Kopfhörern am Tisch und liest. Judy steht in der Küche, und Cathbad liegt mit Kate auf ihrer Spielmatte.
    Ruth stürzt herein, hebt Kate hoch und drückt sie so fest an sich, dass sie quiekt. «Hallo, Schätzchen», flüstert sie.
    «Hallo», erwidert Cathbad, ohne vom Boden aufzustehen.
    «Cathbad! Wie kommst du denn hierher?»
    «Frag Judy.»
    Mit Kate auf dem Arm eilt Ruth zu Judy hinüber und umarmt sie unbeholfen, das Baby zwischen sich.
    «Tausend Dank, dass du gekommen bist!»
    «Schon gut. Alles mit inbegriffen. Ich wollte gerade Toast machen, ich hoffe, das ist okay?»
    «Ja, natürlich. Esst alles, was ihr wollt.»
    «Viel mehr ist ehrlich gesagt gar nicht da. Nur Katzenfutter und Babyfutter.»
    «Wo ist Flint?»
    «Der liegt auf deinem Bett und schläft. Er hat mich gestern Nacht zu Tode erschreckt.»
    Inzwischen ist auch Nelson hereingekommen und spricht leise mit Cathbad. Ruth geht zu Clara hinüber, die sie ziemlich spöttisch mustert.
    «Vielen Dank, dass du die Nacht über hiergeblieben bist, Clara.»
    Clara zieht die Kopfhörer aus den Ohren. «Kein Problem. Aber du hättest nicht gleich die ganze Kavallerie zu schicken brauchen. Für eine Nacht wäre ich auch ganz gut allein mit Kate klargekommen.»
    Ruth lächelt verlegen. Bei Tageslicht kommen ihr ihre Ängste selbst ziemlich albern vor. Aber dann fällt ihr das Tagebuch wieder ein. Ich hasse seine Frau. Am liebsten würde ich ihn umbringen. Nein, sie ist froh, dass Judy die Nacht über hier war. Und auch Cathbad. Aber warum ist der nun eigentlich hier?
    Bevor sie ihn das fragen kann, schaltet sich Nelson ein. Mit seiner Größe, seiner

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