Gezeitengrab (German Edition)
verkleidet, der Boden mit nicht allzu sauberem Linoleum. Auch die Tische sind aus Kiefernholz und mit Speisekarten aus Plastik und Ketchupflaschen verziert. Am Tresen steht ein Grüppchen Männer beim Bier und schaut sich eine Quizshow im Fernsehen an.
«Meine Güte.» Ruth tippt an die Holzwände. «Da kommt man sich ja vor wie in der Sauna.»
«Wenn du das sagst», erwidert Nelson. «Ich war noch nie in der Sauna.»
«Ich dachte, du gehst ins Fitnessstudio?»
«Zum Schwimmen, klar, oder zum Trainieren. Aber ich geh doch nicht in die Sauna!» Man hört ihm den Abscheu richtig an.
«Solltest du aber mal ausprobieren. In Norwegen gehen alle in die Sauna und laufen hinterher raus in den Schnee.» Ruth muss an Erik denken, als sie das sagt; er hatte eine eigene Sauna auf seinem Seegrundstück in Norwegen. Sie erinnert sich an schwarze Nachthimmel, weißen Schnee, nackte Gestalten, die lachend zwischen den Bäumen herumflitzen. Es war eine Zeit der Unschuld, verteidigt sie sich trotzig gegen sich selbst, ein skandinavischer Garten Eden.
«Jedem das Seine», brummt Nelson und schaut auf die Speisekarte. «Was nimmst du?»
«Nur ein Schinkensandwich und eine Cola light. Ich hol’s mir schon.»
«Nein, lass mal.» Nelson steht auf und geht an den Tresen. Ruth sieht ihm argwöhnisch hinterher. Das kurze Gespräch hat ihr Misstrauen geweckt. Auf keinen Fall will sie sich wieder mit Nelson über Geld streiten müssen.
Doch als Nelson an den Tisch zurückkommt, macht er nicht den Eindruck, als wäre er auf ein Gespräch aus. Er wirft einen Blick auf sein Handy und legt es dann konzentriert auf das Platzdeckchen vor sich. Anschließend verschiebt er es erst nach links, dann nach rechts, dann nach oben, dann nach unten und schließlich wieder auf die linke Seite.
Ruth hält es nicht mehr aus. «Also, worüber wolltest du reden?»
«Reden?» Er sagt es, als wäre es ein Fremdwort.
«Ja. Reden. Deswegen hast du mich doch hierhergeschleppt. Deswegen wolltest du mittagessen gehen.»
«Ich dachte, du hast vielleicht Hunger …», setzt Nelson an, besinnt sich dann aber eines Besseren. «Ich weiß auch nicht, Ruth», sagt er und schaut in sein Glas, das Cola mit voller Kalorienzahl enthält. «Irgendwie bin ich ganz durcheinander. Ich muss die ganze Zeit an dich und Katie denken.»
Ruth atmet unwillkürlich schneller. «Lass es», sagt sie. «Denk nicht an uns.»
«Das kannst du doch nicht einfach sagen, Ruth. Sie ist meine Tochter. Ich will euch unterstützen. Ich will mich irgendwie beteiligen. Lass mich dir doch wenigstens Geld geben.»
Sie schweigen kurz, während der Wirt ihnen ihre Sandwichs auf den Tisch knallt. Ruth gibt sich Mühe, ruhig zu bleiben. «Mir ist klar, dass du uns unterstützen willst, aber das geht nun mal nicht. Wenn du anfängst, mir Geld zu geben, erfährt Michelle davon. Ich muss das alleine machen.»
«Aber sie ist doch meine …»
«Ich weiß», fällt Ruth ihm ins Wort. «Aber du hast deine Familie. Du willst deine Ehe nicht gefährden. Das respektiere ich ja auch. Aber es bedeutet nun mal leider, dass ich alle Entscheidungen in Bezug auf Kate alleine treffe.»
Nelson sieht aus, als würde er gleich explodieren. Allein der Gedanke, dass jemand anders als er Entscheidungen trifft, ist ihm ein Gräuel. Doch dann verlässt ihn der Kampfgeist mit einem Mal, und er sagt leise: «Ich will doch nur beteiligt sein.»
«Du kannst sie sehen, wann immer du willst.»
«Ja, eine halbe Stunde lang, im Auto.»
«Das ist übrigens auch so eine Sache», sagt Ruth. «Wenn du ständig anbietest, dich um sie zu kümmern, schöpft irgendwann jemand Verdacht.»
«Wer denn?»
«Judy vielleicht. Oder sogar Clough.»
Nelson schnaubt verächtlich.
«Clough ist nicht so dumm, wie du glaubst. Und sie sieht dir schon ähnlich.»
Die Freude in Nelsons Gesicht wirkt fast lächerlich.
«Echt? Findest du?»
«Na ja, sie ist natürlich hübscher als du.»
Gegen seinen Willen muss Nelson grinsen. «Das stimmt allerdings. Gut, ich werde besser aufpassen, aber ich kann nun mal nichts gegen meine Gefühle machen. Ich will sie einfach beschützen. So wie meine Töchter … meine anderen Töchter. Daran kann ich nichts ändern.»
«Trotzdem musst du versuchen, es besser zu verbergen, vor allem, wenn andere dabei sind. Du hättest mal Cloughs Gesicht sehen sollen, als du gesagt hast, du nimmst sie.»
«Das schadet ihm gar nichts. Irgendwann hat er eigene Kinder. Falls er jemals erwachsen wird.»
«Ich glaube,
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