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Gezeitengrab (German Edition)

Gezeitengrab (German Edition)

Titel: Gezeitengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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aus dem Bilderbuch: weißer Sand, blauer Himmel, kreischende Möwen – so müssen sich Kulturjournalisten ihre einsame Insel vorstellen. Teds Spuren im feuchten Sand könnten auch von Robinson Crusoes Freitag stammen. Fast möchte Ruth glauben, dass vor ihnen noch kein Mensch an diesem Strand war. Nur wenige Kilometer von bekannten Seebädern wie Cromer entfernt, ist dieser Küstenabschnitt dennoch abgelegen und schwer zu erreichen. Die Felsen sind hoch, es gibt kaum Pfade oder Stufen. Und man läuft immer Gefahr, von der Flut eingeschlossen zu werden. Auch die Felsen sind gefährlich, voller Höhlen und Spalten und an manchen Stellen bedenklich steil. Hier fühlen sich nur Vögel zu Hause, sie nisten zu Hunderten im nackten Stein. Obwohl Ruth gleich neben einem Vogelschutzgebiet wohnt, hat sie keine große Schwäche für diese Tiere.
    Craig, eine winzige Gestalt auf dem verlassenen Strand, ist dabei, Sand wegzuschaufeln. Er wäre die perfekte Illustration zu einer unmöglichen Aufgabe, einer der Arbeiten des Herkules beispielsweise oder einer ewigen Höllenstrafe.
    Und Ruth kommt noch ein anderes, weniger klassisches Zitat in den Sinn, das wahrscheinlich mit Cathbads Vorliebe für Lewis Carroll zusammenhängt:
    Das Walross und der Zimmermann
    Spazierten hier am Strand
    Und weinten herzlich über den
    Entsetzlich vielen Sand:
    «O weh und ach!», so seufzten sie,
    «Der Sand nimmt überhand!»
    Sie klettert vom Wellenbrecher hinab und tapst vorsichtig zwischen den Tümpeln hindurch zum Strand. Im Näherkommen sieht sie, dass Craig den Sand tatsächlich von etwas wegschaufelt, nämlich von einem beziehungsweise mehreren größeren Gegenständen, die halb vergraben am Fuß der Felswand liegen. Noch ein Stück näher, und sie erkennt, dass es sich um Ölfässer handelt, rostig orangefarben und mit Napfschnecken übersät.
    Craig ist vor lauter Anstrengung rot im Gesicht. Er empfängt Ruth und Ted mit der Bemerkung: «Nur die drei hier, glaube ich.»
    «Wie kommen die denn hierher?» Ruth bückt sich, um das korrodierte Metall zu begutachten. «Das ist hier doch total abgelegen. Kilometer vom nächsten Ort entfernt.»
    «Als Kind habe ich hier Vogelnester gesammelt», erzählt Craig. «Wir sind allen Ernstes da hochgeklettert, ohne Seil oder sonst irgendwas. Eigentlich Wahnsinn. Die Felsen sind an manchen Stellen fünfundzwanzig Meter hoch.»
    «Ich hatte mal eine Zeit, da habe ich Extrem-Archäologie gemacht», sagt Ted. «Einmal war ich in diesen Höhlen in den Felsen am Firth of Clyde. Dreißig Meter tief und voll mit riesigen Spinnen.»
    «Faszinierend», bemerkt Ruth. Sie hat nichts übrig für Extrem-Archäologie, die in ihren Augen die heiligsten Grundsätze des Berufsstandes – Zeit, Geduld und Sorgfalt – für draufgängerische Adrenalinkicks opfert. «Aber warum glaubt ihr, sie könnten mit den Toten zusammenhängen?»
    «Schau mal rein», sagt Ted.
    Das vorderste Fass hat an der Seite ein Loch mit gefährlich zackigem Rand. Als Ruth zögernd hindurchschaut, dringt ihr ein beißender Geruch nach Benzin und Meer in die Nase. Sie muss würgen. Das Fass ist zur Hälfte voll Geröll, das wohl entweder von den Felsen heruntergefallen ist oder von der Flut hineingeschwemmt wurde, aber der Geruch setzt sich trotzdem noch durch. Auch das zweite Fass hat sich den Elementen geöffnet, und zwischen Geröll und Strandschutt sieht Ruth etwas Weißes darin. Das dritte Fass, erklärt ihr Ted, sei noch komplett versiegelt.
    Ruth streift einen Schutzhandschuh über und greift in das zweite Fass. Die Steine liegen dicht an dicht, eine Mischung aus Kalk- und Feuersteinen, mit dem einen oder anderen Krabbenbein dazwischen, das wahrscheinlich die Möwen fallen gelassen haben. Ruth arbeitet sich so weit nach unten, wie es geht, und bekommt das weiße Etwas zu fassen. Sie zieht daran.
    «Warte, ich helf dir», sagt Ted.
    Gemeinsam zerren sie ein Bündel Baumwollstoff hervor, das früher einmal weiß gewesen sein muss, inzwischen aber graugelb verfärbt ist und durchdringend nach faulen Eiern stinkt.
    Ruth muss fast wieder würgen. Sie holt tief Luft. «Das sieht ja aus wie …»
    «… das Zeug, das wir bei den Toten gefunden haben», ergänzt Ted. «Das dachte ich mir auch.»
    «Das ganze Fass ist voll davon», sagt Craig. «Stinkt zum Himmel.»
    «Vielleicht liegt ja irgendein totes Tier auf dem Grund», meint Ruth. «Ein Fisch oder so was.»
    «Nee.» Ted schnuppert fachmännisch. «Das ist Schwefel, sag ich

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