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Gezeitengrab (German Edition)

Gezeitengrab (German Edition)

Titel: Gezeitengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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Gruppe Männer vor den grauen Mauern eines Hauses. Dieses Hauses, wie ihr schnell klarwird. Auf den ersten Blick sehen sie alle gleich aus, vereinheitlicht durch die weiten, schlechtsitzenden Uniformen und eine seltsame, sepiafarbene Nostalgie. Doch als Judy genauer hinsieht, erkennt sie, dass die drei Männer vorn deutlich jünger sind als die anderen. Selbst in Sepia wirken sie voller Leben.
    «Das Bild habe ich schon mal gesehen», sagt Nelson. «Archie Whitcliffe hatte einen Abzug in seinem Zimmer.» Er sieht Irene an. «Welcher ist Buster?»
    Judy würde wetten, dass es der mit dem Walross-Schnurrbart ist, der aussieht wie ein alter Major. Genau der Mann, den man als «alten Satansbraten» bezeichnen würde. Doch Irene deutet auf einen schmächtigen, unauffälligen Mann am rechten Bildrand.
    «Das ist Buster. Jack sieht ihm sehr ähnlich, finden Sie nicht auch?»
    «O ja», sagt Nelson.
    «Neben ihm steht Edwin Butler, er war noch schwer unter Schock von der ersten Runde. Und das ist Syd Austin, dem das Fischgeschäft hier im Dorf gehörte. Sein Sohn ist bei Dünkirchen gefallen. Das da ist Donald Drummond, er war unser Gärtner. Und der mit dem Schnurrbart, das ist Ernst Hoffmann. Er war gebürtiger Deutscher, wohnte aber schon seit Jahren mit seiner Familie in Broughton. Als der Krieg anfing, wurde er auf der Isle of Man interniert. Aber Buster hat einen solchen Aufstand gemacht, dass er wieder freigekommen ist. Ernst war Wissenschaftler, ein sehr kluger Mann.»
    Stella hat recht, was das Gedächtnis der alten Dame betrifft, denkt Judy. Dann schaut sie wieder auf das Foto. Es fällt ihr schwer, diese verblassten Gestalten, die aussehen wie einem Geschichtsbuch entstiegen, mit menschlichem Leben und Sterben zu verbinden. Doch für Irene ist das Foto ja keine historische Kuriosität, sondern eine Erinnerung an ihren Mann und seine Kameraden.
    Hugh blickt ernst, genauso angespannt und eindringlich wie auf dem Foto von seiner Erstkommunion. Ein junger Mann, von dem man sich vorstellen kann, dass er als Erwachsener das Kreuzworträtsel im Telegraph löst. Archie wirkt sehr viel fröhlicher, er strahlt, als wäre das Ganze nur ein einziges großes Räuber-und-Gendarm-Spiel. Und Judy stellt fest, dass er seinem Enkel sehr ähnlich sieht. Dasselbe attraktive Äußere, dieselbe stolze Haltung. Doch im Gegensatz zu Gerry Whitcliffe, der immer den Eindruck macht, als hätte er Angst, Gefühle zu zeigen, sieht Archie aus, als fürchtete er sich vor gar nichts.
    «Mrs. Hastings.» Nelson spricht zu Irene, die immer noch das Foto betrachtet und liebevoll die Ecken glatt streicht. «Gab es 1940 irgendwelche Gerüchte über eine deutsche Invasion?»
    Jack Hastings lacht auf, doch Irene antwortet vergnügt: «Gerüchte gab es ständig, aber es ist ja am Ende nichts daraus geworden.»
    «War die Angst vor einer Invasion hier in der Gegend besonders groß?»
    «Ja.» Vorsichtig stülpt Irene einen handgestrickten Teewärmer über die Teekanne. «Wir haben alle damit gerechnet, dass sie kommen würden. Buster war felsenfest überzeugt davon. Deswegen hat er ja auch auf den nächtlichen Patrouillen beharrt. Ein Boot hatten sie auch. Ich glaube, es gehörte Syd. Damit fuhren sie in Neumondnächten hinaus und suchten die Buchten ab. Buster war sich sicher, dass es in einer Neumondnacht passieren wird.»
    Judy hat Archies Stimme im Ohr: Und in Neumondnächten, den Dunklen , wie wir immer sagten, sind wir mit dem Boot rausgefahren . Was mag in jener dunklen Nacht vor fast siebzig Jahren passiert sein?
    «Er hat Verteidigungslinien am Strand aufbauen lassen», fuhr Irene fort. «Ernst hat ihm dabei geholfen. Er kannte sich gut mit Sprengstoff aus, wissen Sie. ‹Uns werden sie nicht überrumpeln›, hat Buster immer gesagt. ‹Sie werden Broughton nicht unvorbereitet finden.›»
    «Was ist denn nach dem Krieg mit den Verteidigungslinien passiert?», fragt Judy.
    «Das weiß ich nicht», sagt Irene. «Irgendwann schien eine Invasion nicht mehr sehr wahrscheinlich. Wir haben nie wieder davon gesprochen.»
    «Und Sie?», fragt Nelson. «Waren Sie auch in die Verteidigungsstrategie eingebunden?»
    «O ja», antwortet Irene voller Stolz. «Ich war für den Horchposten eingeteilt.»
    «Für den Horchposten?», wiederholt Judy. Es klingt wie ausgedacht, fast schon kindlich. Mit einem lächelnden Blick zu ihrer Schwiegermutter übernimmt Stella die Erläuterung.
    «Wissen Sie, Detective Sergeant, im Krieg gab es einen militärischen

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