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Gezeitengrab (German Edition)

Gezeitengrab (German Edition)

Titel: Gezeitengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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Anhängerschaft, die in drogenvernebelter Verzückung tanzt, das geschmückte, in Gold gewandete Opfer – Ruth hat ihre beste Hose angezogen –, das rituelle Trommeln, das geheiligte Messer, hoch erhoben, und schließlich der selige Moment der Dunkelheit, des Todes, des Nicht-mehr-Seins. Je länger Ruth im Club Zanzibar ist, desto größer wird ihre Sehnsucht, man möge sie von ihren Qualen erlösen. Vielleicht braucht sie ja nur irgendeine bewusstseinserweiternde Droge, doch als sie nach ihrem Glas greift, ist es leer. O Gott, das bedeutet, sie muss sich wieder bis zur Theke vorkämpfen, um sich dort von dem gepiercten und tätowierten Barmann – dem Hohepriester – ignorieren zu lassen. Vielleicht hat ja sonst noch wer Alkohol im Glas. Aber die anderen Frauen, die am Junggesellinnenabend teilnehmen, trinken alle farbenfrohe Cocktails mit Blue Curaçao oder Eierlikör. Ruth ist als Einzige bei Weißwein geblieben. Gähnend angelt sie ihre Schuhe unter dem Tisch hervor – sie sind so unbequem, dass sie sie abgestreift hat – und bricht zu ihrer Mission auf. Vielleicht darf sie nach einem weiteren Glas ja endlich nach Hause?
    Begonnen hat der Abend in einer Weinbar. Das war noch richtig nett. Klar, die Gespräche drehten sich um Sex und Hochzeitskleider, es gab Spielchen rund um das Thema Festnahme, mit Handschellen und Ganzkörperdurchsuchungen, und ein paar Witzchen über Soft- und Hardware, weil Darren Informatiker ist. Aber es gab zumindest guten Wein, und Ruth mag Judys Kolleginnen, bis auf Tanya, die ihr immer ein bisschen Angst macht. Nach der Weinbar sind sie essen gegangen, und ab da ging alles ein bisschen durcheinander. Ruth hat versucht, einigermaßen nüchtern zu bleiben: Sie geht nur selten aus und wollte ihr Meeresfrüchte-Risotto genießen. Aber der Wein floss weiterhin in Strömen, und es dauerte nicht lange, da führte sie eine Diskussion über Sternzeichen mit einer Polizistin namens Mindy (Fische) und sang lauthals bei Mamma Mia mit. Judy packte ein paar Geschenke aus – anscheinend lauter Handschellen mit Fellbesatz –, und nach ausgiebigem Geplänkel mit den tapfer lächelnden Kellnern verlagerte sich die Gesellschaft ins Zanzibar.
    Von da an ging es nur noch bergab. Kaum hatte Ruth den Club mit seinen Zebrawänden, den Sesseln mit Leopardentupfen und den Tischen mit Tigerstreifen betreten, wurde sie auch schon von einer so bleiernen Müdigkeit befallen, dass sie sich am liebsten mitten auf dem Boden mit dem Schlangenhautmuster zusammengerollt hätte und eingeschlafen wäre. Trotz des schädelzerhämmernden Lärms konnte sie kaum noch die Augen offen halten. Judy hingegen, die Ruth kurz zuvor noch gestanden hat, sie habe «eigentlich sowieso überhaupt nie heiraten» wollen, hat plötzlich wieder Aufwind bekommen und die anderen auf die Tanzfläche gezerrt, wo sie, zum Entsetzen der cooleren Clubbesucher, im Kreis um ihre Handtaschen hüpften und lauthals nach Abba-Songs verlangten.
    Tatjana ist mittendrin und lässt ihre Hüften in den hautengen Jeans kreisen wie ein Teenie. «Tatjana ist der Hammer», hat Judy erklärt. Und Ruth sitzt allein an dem Tigerstreifentisch und weiß, dass sie kein Hammer ist, sondern eine vierzigjährige Frau mit einem fünf Monate alten Baby, das in etwa vier Stunden wieder wach sein wird, mit drückenden Schuhen und einer besten Hose, deren Bund am Bauch kneift. Sie ist zu alt für das alles hier, und gerade ist ihr auch wieder eingefallen, dass sie Clubs eigentlich noch nie ausstehen konnte.
    Ob sie noch mal bei Shona anrufen soll? Sie beschließt, es zu lassen. Sie hat ja schon viermal angerufen, und beim letzten Mal war Kate endlich eingeschlafen, und Shona meinte, sie würde auch bald ins Bett gehen. Sie hat netterweise angeboten, über Nacht zu bleiben – in Ruths Bett, versteht sich, während Ruth auf dem Sofa schlafen wird –, damit Ruth und Tatjana «mal so richtig die Sau rauslassen» können. Danach fühlt Ruth sich gerade überhaupt nicht. Sie will keine Sau rauslassen und auch nicht wild und gefährlich feiern: Eigentlich will sie nur in ihr Bett, mit ihrem Baby neben sich und dem schnurrenden Flint oben auf der Bettdecke. Trotzdem ist das wirklich lieb von Shona.
    Sie drängelt sich zu Judy durch, um sie zu fragen, ob sie noch etwas trinken will. Judy ist offensichtlich in Trance: Das Haar hängt ihr ins Gesicht, ihre Gliedmaßen zucken unkontrolliert. Als Ruth sich umschaut, stellt sie fest, dass dieser Zustand auch alle anderen ergriffen

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