Gezeitengrab (German Edition)
wenn man ein bisschen getrunken hat.»
Nelson zögert. Er weiß, er muss der Familie Hastings sagen, dass Dieter Eckhart ermordet wurde, doch er will den richtigen Moment dafür abpassen. Irgendwann wird er auch offizielle Aussagen brauchen, zumindest von Clara. Aber er findet es interessant, dass Irene davon ausgeht, Dieter habe getrunken.
«Wir können noch nicht sagen, was genau passiert ist», sagt er. «Es wird wohl eine Obduktion geben.»
Hastings stellt einen Becher Tee vor Nelson hin, und Irene wirft ihm einen missbilligenden Blick zu.
«Tut mir leid, Ma», sagt Hastings. «Ich konnte keine Tassen finden.»
«Tee schmeckt einfach am besten aus einer richtigen Tasse», meint Irene. «Finden Sie nicht auch, Sergeant?»
«Da ist was dran.» Es kostet Nelson einige Mühe, die Anrede «Sergeant» zu verdauen.
«Können Sie seine Angehörigen ausfindig machen?» Hastings setzt sich Nelson gegenüber an den Tisch.
«Bestimmt. Er hatte ja Verbindungen zur Uni, und wir können auch seinen Verlag kontaktieren. Das wird sicher nicht weiter schwierig. Mein Sergeant wird sich darum kümmern.» Er hat Clough mit sehr genauen Anweisungen aufs Revier zurückgeschickt, kann es sich aber nicht verkneifen, das Wort «Sergeant» zu betonen.
«Vielleicht weiß Clara etwas», sagt Hastings. «Aber sie ist tief erschüttert. Es war ein furchtbarer Schock.»
«Sie war ganz verschossen in ihn», wirft Irene ein.
«Ach, ich weiß nicht.» Hastings sieht verärgert drein. «Sie kannte ihn doch kaum.»
Da kommt Clara in die Küche. Sie trägt Jeans und einen dicken Pullover und sieht blass, aber gefasst aus. Anscheinend hat sie die Bemerkung ihres Vaters nicht gehört.
«Miss Hastings», sagt Nelson sanft. «Wäre es Ihnen recht, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stelle?»
Clara schaut sich nach ihrer Mutter um. «Darf ich bei ihr bleiben?», fragt Stella.
«Natürlich. Es sind auch nur ein paar Routinefragen. Für die offizielle Aussage kann sie später noch aufs Revier kommen. Sie können alle bleiben», setzt er hinzu, obwohl weder Hastings noch seine Mutter Anstalten machen hinauszugehen.
Clara setzt sich neben ihren Vater, Nelson gegenüber. Ihre Mutter reicht ihr einen Becher, und sie legt beide Hände darum.
«Miss Hastings … Clara … Haben Sie sich gestern Abend mit Dieter Eckhart getroffen?»
«Ja», antwortet Clara leise, aber klar. «Wir waren im Kino und anschließend noch essen.»
«Sind Sie dann zusammen hierher nach Sea’s End House gekommen?»
«Ja. Er hat mich heimgefahren. Wir waren gegen elf hier.»
«Ist er noch mit reingekommen? Um sich zu verabschieden?» Nelson fragt sich, ob sie wohl miteinander geschlafen haben. Vermutlich, wenn er an das umschlungene Pärchen auf Ruths Sofa denkt – aber ganz sicher nicht in Claras Elternhaus.
«Nur kurz. Wir haben noch einen Tee getrunken.»
«War sonst noch jemand auf?»
«Dad saß im Arbeitszimmer und hat ferngesehen. Ich habe kurz zu ihm hereingeschaut und Hallo gesagt.»
«Ich habe eigentlich schon geschlafen», wirft Jack Hastings ein. «Inzwischen kann ich nach zehn die Augen nicht mehr offen halten.»
«Aber Sie wissen noch, dass Clara hereinkam? Haben Sie auch Mr. Eckhart gesehen?»
«Ich erinnere mich, dass Clara da war, sie hat irgendwas über die Sendung gesagt, die gerade lief. Ein Fußballspiel, glaube ich. Eckhart habe ich nicht gesehen.»
«Wann ist Mr. Eckhart wieder gegangen?», fragt Nelson, an Clara gewandt.
«Gegen halb zwölf, glaube ich.»
«Haben Sie ihn wegfahren sehen?», fragt Nelson. «Ihm hinterhergewinkt?»
«Nein», sagt Clara. «Er meinte, ich soll wieder reingehen, weil es doch so kalt war. Ich habe ihm von der Tür aus noch einmal zugewinkt. Sein Wagen stand noch da, aber er hat eine SMS geschrieben und mich nicht gesehen. Dann bin ich nach oben gegangen, habe noch ein Bad genommen und bin schlafen gegangen.»
«Wie spät war es da?»
«Mitternacht. Ich weiß noch, dass ich auf die Uhr geschaut habe, als ich ins Bett ging. Kennen Sie dieses gruselige Gefühl, wenn die Uhr genau 0 Uhr anzeigt?»
«Die Geisterstunde», sagt Irene. Clara fröstelt.
«Als Sie auf das Haus zufuhren», sagt Nelson, «hat sich da irgendjemand herumgetrieben? Oder ist Ihnen sonst etwas Verdächtiges aufgefallen?»
«Nein.» Kurz spielt ein Lächeln um ihre bleichen Lippen. «Wir waren aber auch zu beschäftigt, um auf irgendetwas zu achten.»
«Mit Knutschen beschäftigt», ergänzt Irene eilfertig.
«Was ist mit Ihnen,
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