Gezinkt
Straße, während sie ihm von der Zugfahrt erzählte, Neuigkeiten von ihrem Bruder in Amerika berichtete und von den jüngsten Erwerbungen in ihrem Familiengeschäft im Palazzo Brera sprach.
Er seinerseits beschrieb einen neuen Wagen, den er eventuell kaufen wollte, ein Problem mit dem Mieter in einem seiner Anwesen und einen kulinarischen Coup, der ihm gestern geglückt war: weiße Trüffel, die er auf einem Bauernmarkt unweit seines Hauses entdeckt und einem unangenehmen Küchenchef vor der Nase weggekauft hatte.
Noch eine scharfe Kurve und ein schneller Gangwechsel. Nur die tief stehende, untergehende Sonne in ihren Augen gab ihr einen Hinweis auf die Richtung, in die sie fuhren.
Sie kannte Antonio noch nicht sehr lange. Sie hatten sich vor einem Monat in Florenz in einer Galerie an der Via Maggio kennen gelernt, an die Marissas Firma gelegentlich Kunst und Antiquitäten lieferte. Sie hatte gerade mehrere Werke gebracht: Wandteppiche aus dem achtzehnten Jahrhundert, aus der berühmten Gobelinsmanufaktur in Frankreich. Nachdem sie aufgehängt waren, wurde Marissa von einem dunklen, mittelalterlichen Wandteppich angezogen, der eine ganze Wand in der Galerie einnahm. Von einem unbekannten Künstler gewebt, zeigte er wunderschöne Engel, die aus dem Himmel herabschwebten, um gegen Bestien zu kämpfen, die durch das Land streiften und Unschuldige angriffen.
Als sie wie hypnotisiert vor der grausamen Szenerie stand, flüsterte eine Stimme: »Eine hübsche Arbeit, aber es gibt erkennbar ein Problem damit.«
Sie blinzelte überrascht und drehte sich zu einem gut aussehenden Mann um, der neben ihr stand. Marissa runzelte die Stirn: »Ein Problem?«
Sein Blick blieb auf den Wandteppich gerichtet. »Ja«, sagte er. »Der schönste von allen Engeln ist aus der Szene entwischt.« Er drehte sich zu ihr und lächelte. »Und auf dem Boden neben mir gelandet.«
Sie hatte über die offensichtliche Anmache gelacht. Aber er hatte sie mit so viel zurückhaltendem Charme vorgebracht, dass sie ihre erste Reaktion – ihn einfach stehen zu lassen – schnell aufgab. Sie begannen eine Unterhaltung über Kunst und setzten sie eine halbe Stunde später bei Prosecco und Käse fort.
Antonio war muskulös und schlank, mit dichtem, dunklem Haar und braunen Augen, immer bereit zu lächeln. Er war in der Computerbranche tätig. Sie verstand nicht genau, was er machte – es hatte mit Netzwerken zu tun -, aber er musste erfolgreich sein. Er war wohlhabend und schien über eine Menge freie Zeit zu verfügen.
Die beiden hatten viel gemeinsam, wie sich herausstellte. Sie hatten beide im Piemont studiert, ausgiebige Reisen durch Frankreich unternommen und teilten ein Interesse für Mode (während sie allerdings gern welche entwarf, zog er es vor, sie zu tragen). Er war ein Jahr jünger als sie und nie verheiratet gewesen (sie war geschieden), und bei beiden lebte nur noch ein Elternteil. Marissas Mutter war vor zehn Jahren gestorben, Antonios Vater vor fünf.
Es fiel ihr leicht, mit ihm zu reden. An jenem ersten Abend ihrer Bekanntschaft hatte sie ausführlich aus ihrem Leben erzählt – über ihren dominanten Vater geklagt, wie sehr sie es bedauerte, dass sie die Modewelt für eine langweilige Tätigkeit aufgeben musste, von ihrem Ex-Mann, dem sie gelegentlich Geld lieh, das er nie zurückzahlte. Als ihr bewusst geworden war, wie launisch und unzufrieden sie klang, hatte sie sich errötend entschuldigt. Es hatte ihm jedoch überhaupt nichts ausgemacht; er genoss es, ihr zuzuhören, gestand er ihr. Was für ein Unterschied zu den meisten Männern, mit denen sie ausging und die sich nur auf ihr Aussehen konzentrierten – und auf sich selbst.
Sie waren am Arno spazieren gegangen und dann über die Ponte Vecchio geschlendert, wo ein Junge ihm Rosen für »seine Frau« verkaufen wollte. Stattdessen hatte er ihr ein Touristensouvenir gekauft: einen Giftring von Lucrezia Borgia. Sie hatte heftig gelacht und ihn auf die Wange geküsst.
In der Woche darauf besuchte er sie im Navigli in Mailand; danach hatte sie ihn noch zweimal hier in Florenz gesehen, wenn sie geschäftlich in der Stadt war. Dies sollte nun ihr erster Wochenendausflug werden. Noch waren sie kein Liebespaar, aber Marissa wusste, das würde sich bald ändern.
Auf dem Weg zu ihrem »Überraschungsziel« bog Antonio nun erneut scharf in eine düstere Wohnstraße ein. Das Viertel war heruntergekommen. Marissa war beunruhigt, weil er diese Abkürzung nahm – und umso mehr, als er
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