Gezinkt
hingehört?«
Pilsett schnippte wieder an sein Ohrläppchen. Die Ketten klirrten. »Also gut.«
»Dann an die Arbeit.«
Paul Lescroix’ Lebenslauf war über die Jahre reichlich aufgepeppt worden. Er hatte sein Juradiplom im Abendstudium an einem städtischen Institut erworben. Was sich natürlich in den vielen Artikeln über ihn, von denen er phantasierte, nicht so gut machen würde. Deshalb hatte er sich sofort nach dem Examen für Fortbildungskurse in Cambridge eingetragen, die jedem Anwalt offenstanden, der bereit war, fünfhundert Dollar dafür zu bezahlen. Somit stimmte die Behauptung, er habe eine »Harvard-Ausbildung« absolviert.
Er bekam einen Job, in dem er für einen Mindestlohn juristische Kommentare für Verkehrsrichter umschrieb und archivierte. Somit konnte er behaupten, er habe in seiner Lehrzeit juristische Kommentare für Strafrichter verfasst.
Er ließ sich mit einer eigenen Praxis über einem chinesischen Heimservice in einem rußgeschwärzten Gebäude an der Maiden Lane im Finanzdistrikt von Manhattan nieder. Auf diese Weise wurde er zum »Partner in einem auf Wirtschaftskriminalität spezialisierten Wall-Street-Unternehmen«.
Aber diese kleinen Ungereimtheiten in der Geschichte Paul Lescroix’ (na gut, ursprünglich Paul Vito Lacosta) taten seinem einen großen Talent keinen Abbruch – der unheimlichen Fähigkeit, seine Gegenspieler vor Gericht zu schwächen. Was eine Gabe ist, die kein Anwalt fälschen kann. Er förderte alle Tatsachen über einen Fall zutage, an die er herankam, über die Parteien, den Richter, den Staatsanwalt; dann bearbeitete er sie heftig, drückte und zwickte sie und knetete sie wie Teigmasse. Danach waren es immer noch Tatsachen, aber mutierte: Sie wurden in seinen Händen zu Waffen, Schilden, Viren, Tarnungen.
Am Abend und in der Nacht vor der Pilsett-Verhandlung verbrachte er eine Stunde damit, aus dem armen Al Goodwin herauszuholen, was an Erkenntnis über den Fall möglicherweise in ihm steckte, zwei Stunden lang traf er sich mit Reportern, und zehn Stunden lang ging er zwei Dinge durch: den Polizeibericht und ein umfangreiches Dokument, das ein von ihm beauftragter Privatdetektiv erstellt hatte. Diesen hatte er vor drei Tagen engagiert, als James Pilsett, Jerrys Onkel, mit dem Honorarvorschuss bei ihm erschienen war.
Lescroix sah auf Anhieb, dass trotz der massiven Indizienbeweise gegen Pilsett die größte Gefahr von Charles Cabot selbst ausging. Sie hatten natürlich Glück, dass er der einzige Zeuge war, aber Pech, weil er zufällig auch der Ehemann der getöteten Frau gewesen war. Es ist höchst riskant, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen in Frage zu stellen, der unter dem Verbrechen selbst gelitten hat.
Doch RA Paul Lescroix erhielt vierhundert Dollar die Stunde und fünfstellige Vorschussschecks, weil er gewillt – nein, begierig darauf – war, solche Risiken einzugehen.
In sich hineinlächelnd, ließ er sich vom Zimmerservice eine große Kanne Kaffee kommen, und während der Mörder Jerry Pilsett, der anständige Al Goodwin und all die einfachen Leute von Hamilton ihre einfachen Träume träumten, bereitete sich Paul Lescroix auf die Schlacht vor.
Er kam wie immer sehr früh in den Gerichtssaal und saß bereits ordentlich am Verteidigertisch, als die Zeugen, Zuschauer und (danke, lieber Gott!) die Presse eintrafen. Er posierte dezent für die Kameras und nahm den Staatsanwalt in den Blick (Absolvent der hiesigen Universität, wie Lescroix in Erfahrung gebracht hatte, unter den oberen vierzig Prozent, fünfzehn Jahre auf dem Buckel und abgestumpft davon, dass er in einer perspektivlosen Laufbahn stecken geblieben war, die er vor dreizehn Jahren hätte aufgeben sollen.)
Dann wandte er den Blick einem Mann zu, der im hinteren Teil des Gerichtssaals saß. Charles Cabot. Neben ihm hatte eine Frau in den Sechzigern Platz genommen – Mutter oder Schwiegermutter, den Tränen nach, schätzte Lescroix. Der Anwalt war leicht beunruhigt. Er hatte einen steifen Vertreter der oberen Mittelklasse erwartet, den typischen Bewohner besserer Vororte, jemanden, der wenig Sympathie bei der Jury wecken würde. Doch der Mann, obschon um die vierzig, wirkte jungenhaft. Er hatte zerwühltes, dunkelblondes Haar und trug eine verknitterte Sportjacke, eine leichte Hose und gestreifte Krawatte. Ein freundlicher Versicherungskaufmann. Er tröstete die Frau und vergoss selbst ein paar Tränen. Er war die Sorte Witwer, in den sich eine Jury leicht verlieben
Weitere Kostenlose Bücher