Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
eins steht fest: Jetzt heißt es dranbleiben. Wo ist der Theaterkalender, wer veranstaltete noch mal diesen Lyrikwettbewerb? Und wann und wo gibt’s den nächsten Kunst-Workshop?
Voll kleine Reflexion
«Ich soll euch etwas von den Museumspädagogen ausrichten», sage ich, und Necla ruft:
«Wie die aussahen!»
Beifälliges Gemurmel und Genicke.
«Darum geht’s nicht», stelle ich fest. «Wollt ihr nicht hören, was die über euch gesagt haben?»
Doch, das will man schon, und ich erzähle, dass ich ausdrücklich weitergeben soll, dass sie sehr angetan waren von dem Interesse bei der Führung. «Ich fand das auch toll», lobe ich, «jedenfalls bei den meisten. Allerdings waren die Museumsleute etwas verstört darüber, dass ihr nach ein paar Minuten nicht mehr stehen konntet. Und dann diese ganzen Ausdrücke, die kannten sie auch nicht, und die waren geschockt, dass ihr so miteinander umgeht.»
«Vallah, wo leben die?» Fuat wundert sich.
«Wir waren doch nicht besonders schlimm», findet Hanna, die sich beim Herumzicken besonders hervorgetan hatte.
«Und wie die aussahen», wiederholt Necla empört. «Frl. Krise, sagen Sie mal selbst, wie die Frau aussah! Diese Frisur! So … so … Plastikhaare! So … so … kräuselig, und die Zähne voll gelb! Die soll mal ruhig sein!» Aynur schüttelt sich.
Ehrlich gesagt, ich musste ihr im Stillen recht geben. Die Frau sah schlimm aus.
Aber hier geht’s ja nichts ums Aussehen, sondern ums Benehmen in der Öffentlichkeit. Also versuche ich zu erklären, dass ein ungepflegtes Aussehen beruflich schaden kann, dass aber ein unmögliches Verhalten auf jeden Fall schwerer wiegt als gelbe Zähne und eine Sturmfrisur.
Nein, damit kann ich gar nicht landen. Alle schreien durcheinander, und dann fällt Nesrin auch das noch ein: «Und diese komige Frau, die Sie angeschrien hat! Nach der Führung! Beim Fernsehen! Was wollte die eigentlich von Sie?» Sie guckt mich unschuldsvoll an.
Ich seufze. «Von Ihnen, Nesrin! Der hat nicht gefallen, wie ihr über die Künstler geredet habt. So: ‹Voll behindert! Wie der aussieht!› Und dass ihr euch über das Schwulsein so bepfiffen habt. Die fand das … äh … Sie meinte, Schüler aus einer Großstadt müssten weltoffener sein. Also … ich meine …» Das ist aber jetzt auch schwer zu erklären.
«Die meint, wir sind wie Landeier, wa? Ist die behindert!» Hassan regt sich auf.
«Ganz unrecht hat sie da nicht», sage ich. «Aber ich fand es total unmöglich, wie die das rübergebracht hat.»
«Voll Spast, die Frau! Warum haben Sie uns nicht gesagt! Ich hätte sie …» Hassan ballt die Fäuste. «Wir sind Bodyguard, Frl. Krise!»
Die Jungen sind kriegerisch aufgesprungen, und die Mädchen schnattern aufgeregt durcheinander.
«Nee, danke», winke ich ab. «Aber ich hätte sie noch mal ansprechen sollen. Leider war sie gleich weg.»
«Aber Sie halten zu uns, wa, Frl. Krise?» Nesrin sieht mich an wie ein Dackel.
«Ja, natürlich. Aber ein gewisses Benehmen würde mir das in Zukunft sehr erleichtern.» (Von einer gewissen Toleranz auf allen Seiten ganz zu schweigen.)
«Das nächste Mal benehmen wir uns voll gut!», ruft Hanna. «Wir können nächste Woche wieder gehen, dann zeigen wir …»
«Jaaaaa, bitte, wir können Dienstag gehen!» Ömür ist erneut aufgesprungen, nachdem er sich wieder gesetzt hatte. «Da fällt Sport aus!»
«Nichts da», rufe ich. «Ihr könnt auch sehr gut besseres Benehmen erst einmal hier üben!»
«War voll aber schön die Woche», seufzt Nesrin. «Nur die Museumsfrau! War die hässlig!»
«Kriegen wir hitzefrei?»
Sommer in der Schule sollte gesetzlich verboten werden. Schon beim Betreten des Schulhofs um 7.45 Uhr rufen mir zwei Schüler entgegen: «Frl. Krise, kriegen wir hitzefrei? HITZEFREI?» Diese Frage sollte mir im Laufe des Morgens noch öfter gestellt werden. Um genau zu sein, war es heute die bei weitem am häufigsten gestellte Frage.
Ja, wir bekamen hitzefrei, und zwar nach der sechsten Stunde. Wir Lehrer haben uns gefreut, weil die Renovierung eines Lehrerzimmers gerade abgeschlossen ist und unsere neuen Möbel geliefert wurden. Da konnten wir uns gleich nach Schulschluss zanken, wer jetzt neben wem sitzt und wer nicht mehr da sitzt, wo er vorher saß, weil jetzt weniger Platz vorhanden ist. Und wir konnten alles ausmisten und einräumen und uns ein bisschen streiten, ob es schöner ist als früher oder nicht. Ich musste leider weg, weil ich noch einen Termin hatte,
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