Ghost Lover
beobachtete.
Sie setzte sich auf, zog die Decke bis über die Brust und starrte in die Dunkelheit, als könnte allein Willenskraft ihren lästigen Hausgast aus der Reserve locken.
Schließlich gab sie auf.
„Verschwindet“, sagte sie. „Ich bin müde und will schlafen. Wenn ich wegen Euch an Erschöpfung sterbe, werde ich als Geist hierbleiben und euch bis in alle Ewigkeit piesacken!“ Wütend legte sie sich nieder und rollte sich unter der Decke zusammen.
Irgendwie wusste sie, dass sie nun ganz bestimmt allein war. Mit dem wohligen Gedanken, einen Sieg errungen zu haben – so klein dieser auch sein mochte – schlief sie ein.
Marcus stand erstarrt in der Zimmerecke. Er hatte nur nachsehen wollen, ob mit Ella alles in Ordnung war. Er hatte sie erneut in einem dieser intimen Augenblicke erwischt.
Sie lag im Bett, offensichtlich zufrieden mit sich und der Welt und er hatte verschwinden wollen, doch dann sah er ihr Lächeln. Dieses unwahrscheinlich süße Lächeln, das ihr Gesicht erhellte und ihm unwillkürlich das Blut in die Lenden schießen ließ. Und sie hatte ihn bemerkt, obwohl ihn sonst nie jemand wahrnehmen konnte, wenn er lautlos in den Räumen verweilte. Das war das einzige Zugeständnis, dass ihm der Fluch gab. War er Herr über seine Sinne, konnte er darüber bestimmen, ob er sichtbar wurde oder nicht. In all den Jahrhunderten hatte es nur drei Personen gegeben, die ihn in diesem Zustand wahrnehmen konnten: Eine Sterbende, ein Geisteskranker und nun Ella. Doch Ella lag weder im Sterben noch war sie irrsinnig.
Was also machte sie so anders? Welchen Grund hatte es, dass sie ihn in seinem sichtbaren Zustand berühren, während ihre Freundin ihn nicht einmal hören konnte?
In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass Ella tatsächlich etwas Besonderes war. Er hatte es vom ersten Augenblick an gespürt, als sie ihm das Kissen an den Kopf warf. Doch erst jetzt gestand er es sich ein. Sie war anders als die Menschen, die bisher in dieses Haus in sein Gefängnis gekommen waren.
Erschrocken über diese Erkenntnis verschwand er.
Es war kurz vor dem Morgengrauen, als Ella von abscheulichem Schreien und Heulen und Brabbeln geweckt wurde.
Die Plötzlichkeit, mit der der Lärm in der Stille explodierte, ließ sie aus dem Bett springen. Ihr Herz raste und der Schreck ließ sie schwindlig werden. Eine Weile kämpfte sie gegen Schwindel und Übelkeit, rang um die Kontrolle ihrer Knie und eilte dann hinunter. Doch wie immer verstummte der infernalische Krach, kaum dass sie die letzte Stufe erreichte.
Erschöpft schleppte sie sich wieder nach oben.
Die Türklinke in der Hand hielt sie inne. Wieso ließ sie sich das gefallen?
Sollte dieser Möchtegern-Hausgeist doch herumspuken, wo er wollte, aber nicht hier. Jetzt war es Zeit für die wirklich schweren Geschütze.
„Marcus!“, rief sie in die Stille des Hauses. „Kommt heraus, ich weiß, dass Ihr da seid. Ihr habt Euch lange genug auf meine Kosten die Zeit vertrieben. Hört damit auf!“
Es blieb still.
Wieder einmal zeigte er sich nicht. Dieser Feigling!
Wehrlose Frauen erschrecken, das konnte er. Die Konsequenzen einstecken aber nicht. Die Wut schoss wie eine explosionsartige Entladung durch ihr Hirn. Wäre es möglich gewesen, wäre Dampf aus ihren Ohren gestiegen.
Sie trat gegen die Tür und Schmerz durchzuckte ihren Fuß.
Er hatte es eindeutig übertrieben.
Da sie nun ohnehin zu aufgewühlt war, um zu schlafen, nahm sie ihr Notebook, verkrümelte sich zurück in ihr körperwarmes Bett und begann das Internet zu durchforsten.
Es gab in Großbritannien mehr Geisterjäger und Exorzisten als Kammerjäger, stellte Ella fest, als sie die Vielzahl der Einträge durchforstete.
Aus zusammengekniffenen Augen klickte sie die vielversprechendsten Kandidaten an und schrieb allen eine Mail. Triumphierend schloss sie anschließend die Klappe, legte das Notebook auf den Nachttisch und kuschelte sich in die Kissen.
„Jetzt wollen wir doch mal sehen, ob mit dem Theater nicht bald Schluss ist“, murmelte sie.
Sie erwachte, weil ein Sonnenstrahl ihre Nase kitzelte. Sie nieste und das Erste, das sie sah, war eine weiße Blüte, die auf ihrem Notebook lag. Sie griff erstaunt danach und hob die Blume an ihre Nase. Sie kannte den Namen der Blume nur, weil diese ein beliebtes Motiv für Keilrahmen war.
Calla. Sie legte die Blüte zurück.
Es gab nur ein Wesen, das hier auftauchte, wie es ihm beliebte.
Ob die Blume als Friedensangebot zu verstehen war?
Das
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