Ghost Lover
gegen eine unsichtbare Wand. Marcus stand vor weißem Iris und streichelte die Blütenblätter selbstvergessen. Ella legte einen Arm um seine Hüften.
„Ich habe ihr am Tag nach ihrem Geständnis einen solchen Strauß geschenkt.“ Er wirkte unsagbar traurig.
„Eine schöne Geste“, erwiderte Ella.
„Weißer Iris bedeutet: unbeirrbar und für immer stehe ich zu dir.“ Er schlug mit der flachen Hand gegen den Holzrahmen. Ella zuckte zusammen. „Ich habe unseren gemeinsamen Sohn im Stich gelassen. Was für ein Vater macht das? Und warum in aller Welt wusste niemand davon, dass Penelope, ich meine Constance, meine Gemahlin war?“ Er wandte sich Ella zu. „Wäre mein Sohn zum Zeitpunkt meines Todes älter gewesen, vermutlich hätte er mich getötet. Und das zu Recht“, sagte Marcus verbittert. „Ich habe ihm sein angestammtes Erbe verwehrt.“
„Aber wenn du Constance geheiratet hattest, dann war doch alles in Ordnung.“
„Offenbar habe ich diese nicht unwichtige Tatsache ganz schnell vergessen, als sie gestorben war.“
„Du bist Hals über Kopf aus England geflohen. Das macht kein Mann, der außer sich vor Freude ist.“ Ella schlang ihre Arme um ihn und zog ihn an sich.
Marcus vergrub sein Gesicht in ihrer Schulter. „Oh Ella, ich wünschte, ich könnte mich erinnern. In meinen Träumen sehe ich Bilder, Szenen, die ich nicht einzuordnen weiß. Ich fühle mich zerrissen und das Einzige, das mich zusammenhält, bist du. Deine Liebe gibt mir die Stärke festzuhalten und daran zu glauben, dass ich besser bin, als ich befürchte.“
„Du bist ein guter Mann, Marcus. Du bist ehrlich, treu und zuverlässig.
Ich bin sicher, dass du dich nie anders verhalten hast, als man es von einem Gentleman deiner Zeit erwartet hat.“ Sie ergriff seine Hand. „Und jetzt lass uns aus dem Treibhaus verschwinden. Ich kriege kaum mehr Luft hier drin.“
Besorgt sah Marcus sie an und führte sie nach draußen. Ganz genau so, wie es sich für einen Gentleman gehörte.
Nach einem Nachtimbiss lagen sie im Bett.
Marcus hatte schon beim Essen das Gefühl verspürt, als wäre er nicht mehr ganz in dieser Welt verankert. Aus Sorge über Ellas Reaktion, hatte er ihr nichts davon erzählt. Jetzt lag er neben ihr im breiten Baldachin-Bett und starrte an den floral gemusterten Betthimmel.
Ein Gefühl der Schwerelosigkeit legte sich über ihn. Ella streckte im selben Moment den Arm nach ihm aus, und als ihre Hand durch seinen Oberkörper glitt, setzte sie sich auf. Sie griff mit beiden Armen nach ihm, versuchte, ihn zu berühren und konnte ihn doch nicht ertasten.
„Marcus!“, rief sie verzweifelt. Tränen schossen ihr in die Augen. Wieder und wieder versuchte sie, seinen Körper anzufassen. Ihre Pein war beinahe fühlbar, doch er war nicht in der Lage, etwas zu tun.
Er sprang aus dem Bett. Sein Herz klopfte wild und wie höhnisch in der Brust.
Ein goldener Schimmer lag mit einem Mal über allem.
Dem Schein wohnte etwas Tröstliches inne und das Zentrum lag am entferntesten Punkt des Raumes. Es zog Marcus zugleich an und stieß ihn ab. Er schluckte und sah zu Ella.
Sie stand ebenfalls auf. Das Gesicht kalkweiß, die Augen zwei schwarze Löcher voller Furcht und Hoffnungslosigkeit.
„Es geht vorbei, Liebste.“ Seine Stimme klang hohl. Er fühlte sich entzweigerissen. Ein Teil von ihm wollte in das Licht gehen. Wollte verschmelzen mit der erlösenden Liebe, die darin existierte. Der andere Teil seines Seins sehnte sich danach, bei Ella zu bleiben. Sie zu berühren, riechen, schmecken.
„Nein, Marcus, ich lasse es nicht zu. Ich kann nicht! Ich will nicht ohne dich sein!“ Tränen liefen über ihr Gesicht.
Er fühlte, wie sein Körper wieder an Substanz gewann. Wie der Schwindel nachließ, seine Sinne wieder direkter, konzentrierter wurden.
Ella stürzte sich auf ihn und prallte gegen seine feste, lebendige Brust.
Aufschluchzend umarmte sie ihn. „Oh Gott, ich dachte wirklich … Ich hatte Angst, wir hätten keine Zeit mehr, uns zu verabschieden“, stammelte Ella.
Marcus zog sie enger an sich und küsste sie mit einer Mischung aus Leidenschaft, Sehnsucht und Erleichterung. Er hatte noch einmal Zeit geschenkt bekommen, dennoch wusste er, dass der Abschied nur aufgeschoben war. Vielleicht für Stunden, vielleicht für Tage, doch gewiss nicht für immer. Er sah noch einmal in den Raum. Das goldene Leuchten war schwächer, doch es war immer noch vorhanden. Der stumme Hinweis, dass es nur eine einzige Sache gab, die
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