Ghost Lover
ihn abschließend erwarten würde.
„Versprich mir, dein Leben zu leben. Genieße jeden Augenblick und lasse dir niemals von irgendjemandem oder etwas Grenzen auferlegen“, sagte Marcus. Er wirkte ungewohnt ernsthaft und bedrückt.
Sie saßen auf der Terrasse und beobachteten den Sonnenaufgang. Ella saß auf seinem Schoß und kuschelte sich an Marcus’ Brust. Entspannt und seltsam friedlich. Sie war nicht sicher, weshalb sie in dieser Stimmung war, ob es die Erleichterung war oder die Müdigkeit, denn nach dem schockierenden Erlebnis in der Nacht hatten sie keinen Schlaf mehr suchen wollen. Sie hatten in der Küche gesessen, abwechselnd Kakao und Kaffee getrunken und über alles geredet, was ihnen wichtig und interessant erschien.
Ella blickte ihn forschend an. Sie wagte zu behaupten, dass sie ihn inzwischen gut genug kannte, um wenigstens zu erahnen, was in ihm vorging. Und diesmal dachte er an die Zeit ohne sie.
Der Gedanke, ihn zu verlieren hätte genug Macht besessen, sie verrückt zu machen. Doch irgendwann in den vergangenen Wochen hatte sie durch ihre Liebe zu Marcus genug Kraft gefunden, den Augenblick zu genießen und nicht in Furcht vor einer ungewissen Zukunft zu erstarren.
„Was würdest du mit deinem Leben anfangen, wenn du eine zweite Chance bekämst?“, fragte Ella plötzlich.
Marcus hauchte ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. „Dich suchen, um den Rest meines Lebens mit dir zu verbringen.“
„Hört sich nach einem hervorragenden Plan an“, erklärte Ella. Ihr Herz klopfte wie das eines frisch verliebten Teenagers. Sie schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn. Seine Lippen schmeckten nach Kakao mit einem Hauch Zimt. „Hm, süß!“, murmelte sie und vertiefte den Kuss.
Kostete seine Nähe, seinen Geschmack mit der Inbrunst einer Verdurstenden aus.
Marcus’ Hände gingen auf Wanderschaft, ihren Rücken hinunter, kurz auf den runden Pobacken verharrend, dann weiter, glitten am Hosenbund unter das T-Shirt und streichelten ihre samtige Haut.
Ella schloss die Augen.
„Alles in Ordnung?“, raunte Marcus an ihrem Ohr.
„Ich genieße den Augenblick“, erklärte sie verträumt.
Als Sofie vor der Tür stand, hatte Ella bereits die fünfte Tasse Kaffee getrunken und war so mit Koffein aufgeputscht, dass sie keinerlei Müdigkeit verspürte, obwohl sie nur zwei Stunden Schlaf gehabt hatte.
„Ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst nicht gut aus.“ Ella fuhr sich über das Gesicht. „Akuter Schlafmangel. Keine Sorge, ich habe nur die halbe Nacht gelesen“, beeilte sie sich zu sagen.
„Muss ja ein Wahnsinnsbuch gewesen sein“, meinte Sofie. „Können wir weiterarbeiten? Ich muss mich morgen an mein Notebook setzen und endlich die ganzen Fotos sichten, nummerieren und so weiter. Und die kommenden Tage ist es auch nicht viel besser.“
Sie seufzte. „Vor Samstag werde ich gar keine Chance haben, mich wieder mit dem Tagebuch auseinanderzusetzen.“
Ella verzog enttäuscht das Gesicht. Das würde Marcus nicht gefallen.
Wie auf’s Stichwort kam Marcus die Treppe hinunter.
„Ah, mein Lieblings-Plagegeist.“
Ella drehte sich um und schimpfte ihn stumm. Er lachte. „Ich hätte nie gedacht, dass es von Vorteil sein könnte, unsichtbar zu sein. Ich kann sagen, was ich will. Niemand außer dir kann mich hören.“ Als er Ellas zusammengekniffene Augen bemerkte, fügte er hinzu: „Und du bist die Einzige, deren Meinung mir wichtig ist, meine Sonnenblume.“ Ella war besänftigt und wandte sich Sofie zu, bemerkte jedoch, dass über Marcus’ Lippen ein Lächeln glitt.
„Irgendwann musst du mir erklären, was dort oben auf der Treppe so Interessantes ist.“
Ella lachte. „Ich halte Zwiesprache mit Tante Ediths Hausgeist.“ Kopfschüttelnd ging Sofie in die Küche. Sie nahm eine Tasse vom Wandbord und schenkte Kaffee ein. „Dass Leute, die in alten Häusern wohnen, sich immer mit Geisterspuk herausreden.“ Sie ließ sich auf einen der Stühle sinken und packte das Tagebuch, Stifte, Blöcke und die Übersetzungen vom Vortag aus. „Habe ich dir erzählt, dass die alte Dame in Sussex, deren Herrenhaus ich fotografierte, ständig mit ihrem Ehemann sprach? Ihr Mann ist vor fünf Jahren gestorben.“ Ella riss die Augen auf und starrte Marcus an.
„Wirklich?“, murmelte Ella. „Verblüffend.“
Unbeeindruckt schlug Sofie das Tagebuch auf und suchte die richtige Stelle.
„Wir waren hier, nicht wahr?“ Sie deutete auf den sechzehnten Juli
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