Ghost Street
glimpflich davonkommen zu lassen. Nichts Weltbewegendes. Er war nur nicht so bissig wie sonst. Als hätte er es darauf angelegt, dass Hamilton freigesprochen wird.«
Harmon brauchte einige Schrecksekunden, um die Nachricht zu verdauen. »Du hältst Jack Crosby für denKlansmann? Den Bezirksstaatsanwalt? Einen ehrenwerten Vertreter von Recht und Ordnung?«
»Wäre nicht der erste Gesetzesmann, der Dreck am Stecken hat. In Chicago hatten wir einen Richter, der trieb es mit Minderjährigen.« Sie verließ die Interstate und wandte sich auf dem Highway nach Nordosten. »Ich kann mich natürlich täuschen. Ich wäre sogar froh, wenn ich mich täuschen würde. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir der Sache wenigstens nachgehen müssen. Natürlich so, dass es niemand merkt. Klar, oder?«
»Ich fasse es nicht.« Harmon war immer noch wie vor den Kopf geschlagen. »Wenn jemand erfährt, dass du Crosby verdächtigst, kannst du froh sein, wenn du überhaupt noch einen Job bekommst. Und ich … ich auch.«
»Willst du aussteigen?«
»Nein, aber …«
»Crosby hat Alessa angeboten, sie in seinem Ferienhaus in Beaufort zu verstecken. Die beiden sind schon unterwegs, hab ich gecheckt. Die Adresse habe ich auch. Wenn Crosby tatsächlich der Täter ist, gibt’s doch keine bessere Möglichkeit, sie verschwinden zu lassen. Er bricht heute Nacht in seiner eigenen Wohnung ein und bringt sie um. Du weißt, wie Bruce Gaddison ermordet wurde.«
»Oh Gott!«, stieß er hervor.
In der Ferne tauchte eine verlassene Tankstelle auf. Die Lampe vor dem Gebäude war defekt, aber der Mond stand voll am Himmel, und der Wagen am Straßenrand war nicht zu übersehen. Jenn trat heftig auf die Bremse.
»Verdammt!« Harmon stützte sich gerade noch rechtzeitig am Armaturenbrett ab. »Willst du mich umbringen?«
Jenn hatte bereits ihre Pistole gezogen. »Das ist Crosbys Wagen! Und da hinten geht’s zum Fluss runter!«
Jetzt griff auch Harmon nach seiner Waffe. Zusammenschlichen sie an der Tankstelle und durch ein kleines Wäldchen zur Bootsanlegestelle. Von Weitem beobachteten sie, wie ein Mann in der weißen Kluft des Ku-Klux-Klan etwas Unförmiges in den Fluss stieß. Alessa, mit Stacheldraht gefesselt! Zu spät, um ihn davon abzuhalten, erreichten sie den Bootssteg.
»Hände hoch!«, rief Jenn. »Savannah Police!« Sie riss dem Killer die Kapuze vom Kopf, bog seine Hände auf den Rücken und legte ihm Handschellen an. »Jack Crosby, ich verhafte Sie wegen mehrfachen Mordes.«
Während Harmon am Ufer entlanglief und nach Alessa suchte, zählte sie Crosby seine Rechte auf, überlegte kurz und trat ihm mit voller Wucht zwischen die Beine. Er krümmte sich vor Schmerzen. »Sie sind ein Dreckskerl, Crosby! Und Sie wissen hoffentlich, dass man einen Staatsanwalt nicht gerade mit Kusshand im Gefängnis empfängt. Im Knast werden Sie etliche Freunde wiedertreffen. Harte Jungs, die noch eine Rechnung mit Ihnen offen haben. Viel Vergnügen, Crosby!«
41
Alessa trieb hilflos im Fluss. An Händen und Füßen gefesselt, den Stacheldraht am ganzen Körper und den Mund mit dem festen Klebeband verschlossen, hatte sie kaum eine Chance, in der Strömung zu überleben.
Doch sie gab nicht auf. Trotz des Stacheldrahts drehte und wendete sie sich, verzweifelt darum bemüht, an der Oberfläche zu bleiben und durch die Nase atmen zu können. Ein vergebliches Unterfangen. Immer wieder tauchte sie unter und wurde von ihren schweren Kleidern und dem Stacheldraht nach unten gezogen. Noch ein paar Minuten, vielleicht nur Sekunden, länger würde sie nicht durchhalten.
Nicht einmal schreien konnte sie. Das Klebeband erstickte jeden Schrei im Ansatz, ließ ihn zu einem dumpfen Stöhnen verkümmern, sobald sie an der Oberfläche war. Sie schluchzte heftig, bekam dadurch noch weniger Luft und konnte durch die Tränenschleier vor ihren Augen kaum noch sehen. Sie war am Ende. Es war vorbei. Sie würde auf den Grund des Flusses sinken und vielleicht nie mehr auftauchen. Melinda Stone würde Archivaufnahmen von ihr zeigen und sie als tapfere Streiterin für das Recht loben. »Alessa Fontana ist tot. Wir trauern um eine tapfere Frau, die einem verblendeten Killer zum Opfer fiel …«
Ihre Kräfte erlahmten. Warum noch wehren, es hatte ja doch keinen Zweck. Lass dich einfach treiben, bis dir schwarz vor Augen wird und du nichts mehr spürst. Es dauert nicht lange. Vielleicht gibt es ja doch ein Paradies, und du triffst dort David. Gib auf, Alessa, wehre dich nicht
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