Ghost Street
Augenblicken würde sie in ihrem albernen pinkfarbenen Jogginganzug zwischen den Bäumen auftauchen.
Um bereit zu sein für die Begegnung, massierte er seine Hände und stampfte mehrmals mit den Füßen auf. Auch an einem Spätsommertag wie diesem war es frühmorgens empfindlich kalt. Er hätte sie natürlich in ihrer Wohnung überraschen können. Kein Problem, sich im Treppenhaus zu verstecken und zu warten, bis sie die Tür aufschloss. Er hätte sie in den Sack zwängen und in ihrer Badewanne ersäufen können. Aber erstens wusste er nicht, ob sie eine Badewanne besaß, und zweitens wäre das nicht authentisch gewesen. Es sollte alles so sein wie damals, bis auf die Brücke, von der er sie werfen würde. Denn dort stand inzwischen die neue Talmadge Memorial Bridge. Egal.
Dass seine Vorgehensweise den Cops verraten könnte, warum Angie Rydell gestorben war, störte ihn nicht. Sollten sie es doch ruhig wissen. Sie würden ihn niemals erwischen, dafür würde er schon sorgen, und ein Großteil der Bevölkerung würde ihm sogar heimlich zujubeln, da war er beinahe sicher.
Vom Pfad klangen Schritte herüber. Pünktlich wie erwartet erschien Angie Rydell in seiner Nähe. Auch in den Nebelschwaden, die über den Pfad zogen, erkannte er sie genau. Allein ihr pinkfarbener Jogginganzug verriet sie, aber auch ihr verbissener Laufstil und ihre kräftigen Bewegungen. Für Anfang vierzig sah sie noch sehr ansehnlich aus. Kurze blonde Haare, gefärbt, aber immerhin, hellblaue Augen und eine tolle Figur. Eigentlich schade, eine Frau wie sie aus dem Weg zu räumen. Sie hätte noch einige Männer glücklich machen können. Aber es ging nicht anders, denn hinter ihrer hübschen Fassade verbarg sich das Herz einer verräterischen Schlampe.
Nein, sie hatte keinen Nigger als Freund, aber er hatte beobachtet, wie sie mit einem schwarzen Kunden, der in ihrem Drugstore gewesen war, minutenlang gescherzt hatte. Sie hatte ihn sogar vor einer älteren weißen Lady bedient. Allein das hätte vor einigen Jahrzehnten noch ausgereicht, um sie auszupeitschen oder ihr einen toten Nigger vor die Haustür zu legen.
Es reichte ihm, dass sie die Tochter ihrer Mutter war. Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm, so sagte man doch, also würde er dafür sorgen, dass sie gar nicht erst die Gelegenheit bekam, sich mit einem Nigger herumzutreiben. Im Drugstore hatte man doch gesehen, wie sie es mit den Schwarzen hielt. Sie lächelte sie genauso an wie ihre weißen Kunden und würde sich nicht schämen, mit einem von ihnen ins Bett zu steigen, das war so sicher wie das Amenin der Kirche. Sie hatte es verdient zu sterben, auch ohne das, was ihre Mutter getan hatte.
Zugegeben, er war etwas aufgeregt. Er war kein Berufskiller und hatte auch nie in der Armee gedient. Ein bisschen zitterte er schon, als sie immer näher kam. Er schrieb es seiner Aufregung zu, weil er der Menschheit einen großen Dienst tat und dem Klan zu neuem Ruhm verhalf. Dies war sein Moment, der Beginn eines gerechten Feldzugs, der die Welt auf den Boden der Tatsachen zurückholen würde. Gott, steh mir bei, betete er in Gedanken, führe meine Hand, wenn ich diese Dirne ihrer gerechten Strafe zuführe. Sie hat den Tod verdient. Sie soll in der Hölle schmoren!
Er verließ seine Deckung und tauchte so unvermittelt vor der Frau auf, dass dieser keine Möglichkeit zur Gegenwehr blieb. Noch während sie vor dem Fremden mit der Ku-Klux-Klan-Kapuze erschrak und den Mund zu einem überraschten Schrei öffnete, hatte er sie in den Schwitzkasten genommen und zog sie hinter das Gebüsch. Er drückte so fest zu, dass ihr die Luft wegblieb und sie röchelnd in seinen Armen erschlaffte.
Als er sie zu Boden warf und geringschätzig auf sie hinabblickte, war sie bereits halb bewusstlos. Wie durch Nebelschleier sah sie den Mann mit der weißen Kapuze über sich stehen. Der Ku-Klux-Klan! Der Geheimbund, der noch vor wenigen Jahrzehnten eine Hetzjagd auf Schwarze, Homosexuelle und Ausländer veranstaltet hatte. Ihre Mutter war vor vielen Jahren von einem der Klansmänner ermordet worden, Angie war damals noch ein Kleinkind gewesen. Erst vor wenigen Monaten hatten sie den Mörder verurteilt und lebenslänglich ins Gefängnis geschickt. Die Mühlen der Justiz mahlten langsam, wenn es um den Mord an einer »Niggerfreundin« ging. So hatte man ihreMutter damals genannt. Während des Prozesses war alles noch einmal hochgekommen. Und obwohl alles gegen den verdammten Killer gesprochen hatte, war er mit
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