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Ghostman: Thriller (German Edition)

Ghostman: Thriller (German Edition)

Titel: Ghostman: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Hobbs
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im Lokal, und hinter den hohen Lehnen in der tiefen Sitznische konnte uns praktisch keiner sehen. Ich spannte den Hahn, und mit leisem Klicken drehte sich die Trommel. In der Kammer steckte eine 130-Grain-Patrone mit Hohlspitzgeschoss.
    » Eigentlich hätte ich es wissen müssen«, sagte ich. » Sie sind der einzige Mittelsmann in dieser Stadt, und der Wolf ist der Einzige hier, der etwas zu sagen hat. Mir hätte klar sein müssen, dass Sie entweder für ihn arbeiten oder wegen Inkompetenz für den Job nicht in Frage kommen. Es war meine eigene verdammte Schuld, dass ich Ihnen vertraut habe.«
    Lakes schaute hinunter auf die Kanone und sagte kein Wort.
    » Sie können ruhig sprechen, wissen Sie«, sagte ich. » Ich werde Sie nicht umbringen, ohne Sie anzuhören. Tatsächlich glaube ich sogar, dass es von Vorteil ist, wenn ich weiß, dass Sie für die gegnerische Mannschaft arbeiten. Ich habe gute Gründe, Sie am Leben zu lassen. Natürlich habe ich genauso gute Gründe, diesen Revolver auf Sie zu richten.«
    Lakes sagte immer noch nichts.
    » Haben Sie schon mal den Satz gehört: › Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo ‹?«
    Lakes schüttelte den Kopf. » Ist das Latein?«, flüsterte er.
    » Ja, das ist Latein.«
    » Hab ich noch nie gehört.«
    » Möchten Sie wissen, was es bedeutet?«
    Lakes starrte auf den Berg Servietten. » Ich bin nicht sicher.«
    » Sie möchten es wissen. Glauben Sie mir, Sie möchten es wissen.«
    » Okay. Was bedeutet es?«
    » Eine ganze Menge. Tatsächlich bin ich diesem Satz als Kind zum ersten Mal begegnet. Damals habe ich alles gelesen, was ich in die Hände bekommen konnte. Immer wenn auf dem Ständer im Supermarkt ein neues Buch auftauchte, habe ich es gekauft, und wenn ich es mir nicht leisten konnte, habe ich gleich im Laden so viel wie möglich davon gelesen. Die Bücherei war mein zweites Zuhause. Manchmal bin ich Leuten vor die Füße gelaufen, weil ich ständig mit gesenktem Kopf unterwegs war. Aber trotz allem habe ich nie ein Buch gefunden, das mir wirklich gefiel. Die meisten waren okay– aufregend oder romantisch oder gruselig oder wahr, doch keins konnte mich wirklich zufriedenstellen. Immer fehlte etwas. Also machte ich weiter. Ich las literarischen Kram. Die Enden der Parabel von Thomas Pynchon. Mitternachtskinder von Salman Rushdie. Der Name der Rose. Aber auch das hat mich nicht wirklich bewegt. Und dann hat jemand mir die Äneis gegeben. Kennen Sie die Geschichte der Äneis?«
    Er schüttelte den Kopf.
    » Was ist mit Troja? Die Ilias, die Odyssee? Das Trojanische Pferd, Seeungeheuer und so weiter?«
    » Ja, das kenne ich.«
    » Die Äneis ist ein episches Gedicht über die Gründung Roms. Sozusagen die Fortsetzung der Ilias und der Odyssee. Sie folgt einem jungen Mann namens Äneas, der aus Troja entkommt, nachdem es von den griechischen Invasionstruppen erobert worden ist. Mit dem Rest seiner Leute segelt er über das Mittelmeer. Er erlebt Abenteuer, verliebt sich, kämpft mit Schurken und trifft auf das Übernatürliche. Er tut alles, wovon ich als Junge gern gelesen habe, und noch einiges mehr. Ich hatte das Gefühl, Äneas zu sein. Wie bei ihm waren meine richtigen Eltern aus meinem Leben verschwunden. Wie er hatte ich das Gefühl, zu etwas Großem bestimmt zu sein. Wie ihn langweilte mich das Alltagsleben. Und wie er war ich keiner von den Guten. Zumindest nicht im traditionellen Sinn. Äneas musste üble Dinge tun, um dahin zu kommen, wo er hinmusste.«
    » Sie haben als Kind lateinische Gedichte gelesen?«
    Ich zuckte die Achseln. » Manche Jungs sammeln Modellflugzeuge. Ich habe Latein gelesen. Das ist nicht so schwer zu verstehen. Ich habe so gern gelesen, und ich wollte Äneas sein. Aber wissen Sie, Äneas kannte seine Bestimmung, weil ein Hellseher sie ihm verraten hatte. Ich dagegen hatte keine Ahnung, was aus mir werden würde. Meistens hatte ich das Gefühl, ich hätte überhaupt keine Bestimmung. Mir war, als existierte ich gar nicht– oder nur, wenn ich dieses Buch las. Und nur einmal habe ich mich genauso lebendig gefühlt: an dem Tag, als ich zum ersten Mal am helllichten Tag einem Mann den Schädel einschlug und ihn ausraubte.«
    » Warum erzählen Sie mir das?«
    » Weil Sie verstehen sollen, warum ich das hier tue, und weil Sie es auch dem Wolf erzählen sollen. Glauben Sie, Sie können es behalten? Geht es in Ihren Kopf?«
    Lakes antwortete nicht.
    » › Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo ‹«, wiederholte ich. » Das

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