Ghostman: Thriller (German Edition)
sie warten. Ich verzog schmerzlich das Gesicht, als ich die kugelsichere Weste öffnete. Scheiße, wie das brannte!
Ich berührte die drei Stellen über den Rippen, wo ich getroffen worden war. Drei große schwarze Blutergüsse hatten sich gebildet. Es war ein Wunder, dass kein Knochen gebrochen war. Ich vergewisserte mich, dass nichts blutete, und dann streifte ich die Weste vollends ab und warf sie auf das Bett. Kevlar kann vielleicht eine Kugel stoppen oder ein Feuer ersticken, aber wenn es nicht mit Kieselgel behandelt wurde, kann man es zerschneiden. Ich zog die Keramik-Traumaplatten heraus und warf sie aus dem Fenster, und dann ging ich mit einem Küchenmesser auf das Kevlar los und zerschnitt die Weste in ein halbes Dutzend kleine Stücke. Als ich damit fertig war, sah es aus, als habe jemand einen Rucksack zerfetzt. Die größeren Stücke warf ich aus dem Fenster, die kleinen spülte ich in die Toilette.
Dann trat ich ans Waschbecken und hielt den Kopf unter den Wasserhahn. Ich schrubbte und schrubbte, bis mein M ak e-up und die auswaschbare Haarfarbe in dicken Rinnsalen im Abfluss verschwanden. Danach bearbeitete ich mein Haar mit demselben Messer. Ich hatte keine Zeit, es ordentlich zu machen; ich raffte es einfach am Hinterkopf zusammen und säbelte das Büschel mit ein paar groben Schnitten herunter. Als ich mein Haar auf eine bestimmte Länge gekürzt hatte, seifte ich es ein und rasierte alles ab, was noch da war, bis mein Schädel völlig kahl war. Manche Leute kann man an den Haaren erkennen, aber eine rasierte Glatze macht das unmöglich. Ich hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem Jungen, der die Bank ausgeraubt hatte.
Die Neuigkeiten aus dem Radio und dem Funkscanner waren nicht gut. Hsiu war keine dreißig Schritte weit gekommen, als sie aus dem Truck gestiegen war. Sie hatten sie mit Tränengas beschossen und damit war sie nicht fertiggeworden. Sie hatte sich zu einer Kugel zusammengekrümmt und war bewegungslos liegen geblieben, bis die Sanitäter kamen. Alton Hill kam nicht mal einen Block weit. Er versuchte, vor seiner Bude ein Auto zu hijacken, und fing zwei Kugeln von einem Polizisten ein. Vincent und Mancini konnten dem Schleppnetz entkommen, aber ihre falschen Pässe wurden ihnen zum Verhängnis. Bei der Kontrolle am Flughafen fiel ihre Verbindung zu Jack Delton auf, und sie wurden verhaftet, bevor sie das Gate erreicht hatten.
Von Angela hörte ich nichts.
Ich nahm die beiden Schließfachschlüssel von der Kette an meinem Hals und betrachtete sie lange und eingehend. Meine Partner waren bereits gefasst. Die Polizei würde die Schlüssel, die sie am Hals oder in der Tasche bei sich trugen, irgendwann entdecken und auf den Gedanken kommen, dass ich auch welche haben würde. Sie wegzuwerfen bedeutete, dass ich zwei Millionen Dollar wegwarf, aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich hatte das Geld ja schon verloren. Es war in dem Moment weg gewesen, als die Aufzugtür sich im Keller geöffnet hatte.
Ich spülte die Schlüssel ins Klo.
Dann hielt ich ein Feuerzeug an eine Ecke von Jack Deltons Pass und sah zu, wie die Visa-Seiten aus Baumwoll-Polyester schmolzen, sich kräuselten und schwarz wurden. Weniger als eine Stunde nach dem Banküberfall war Jack Delton tot. Nur der Ghostman war noch da.
Ich schloss die Tür auf und ging hinaus, ohne mich umzusehen.
Nach ungefähr zwei Blocks fand ich einen Obdachlosen, einen mageren Mann mit fahler Haut und lückenhaften Zähnen. Ich brauchte nicht zweimal hinzuschauen, um die Einstiche an seinen Armen und am Hals zu sehen. Heroin. Er trug ein schmutziges Tropenhemd mit dem Namen irgendeiner Band und ein Paar alte schwarze Turnschuhe. Ich warf ihm ein Bündel Ringgit-Scheine zu und bekam beides. Weder Schuhe noch Hemd passten mir richtig, aber vorläufig musste es gehen. Und ich kam damit zu der Fischbude und meiner Tasche.
Dann stieg ich in die U-Bahn. Ich nahm den ersten Zug in eine beliebige Richtung, stieg nach zwei Stationen aus und fuhr in die entgegengesetzte Richtung. So hatte Angela es mir beigebracht. In einem Secondhand-Laden wechselte ich meine Kleidung, und mit einem Handspiegel veränderte ich mein Aussehen, während ich auf die Einschienenbahn wartete. Manuel Sardi und Jack Delton waren zwei grundverschiedene Menschen. Manuel sprach kein Wort Englisch, und das gefiel mir. Mit dieser neuen Identität konnte ich mir ein Taxi nehmen. Ich gab dem Fahrer eine ganze Handvoll Ringgit-Scheine und ließ mich hinaus nach Port Dixon
Weitere Kostenlose Bücher