Ghostwalker 01 - Ghostwalker 01
Bewundernd sah Marisa ihm hinterher. Kein Wunder, dass sein Oberkörper so muskulös war … Energisch rief sie sich zur Ordnung. Anstatt fremde Männer zu beäugen, sollte sie sich lieber auf die vor ihr liegende Aufgabe konzentrieren.
Marisa tätschelte Angus aufmunternd. „Komm, gehen wir.“ Sie bemerkte die Veränderung im Verhalten des Adlers sofort. Zwar flog er noch voraus und verschwand auch häufig aus ihrem Blickfeld, aber er kehrte immer sofort wieder zurück und passte sich ihrer Geschwindigkeit an. Seine Bewegungen wirkten sparsam und zielgerichtet, wo sie vorher fast verspielt gewesen waren. Anscheinend hatte er aufgegeben, ihr einen normalen Vogel vorgaukeln zu wollen, und handelte jetzt wie ein Mensch in gefiederter Gestalt.
Während ihr Körper wie auf Autopilot durch den Wald steuerte, wanderten Marisas Gedanken zu dem Gespräch zurück. Anscheinend gab es eine ganze Gruppe von Adlermenschen, die ebenfalls unerkannt in der Wildnis lebten. Und sie wussten von den Problemen der Berglöwenmenschen, unternahmen aber nichts dagegen, weil sie Angst hatten, mit hineingezogen zu werden. Was sie einerseits verstehen konnte, andererseits aber machte sie die Kurzsichtigkeit wütend. Wie lange würde es nach der Entdeckung der Berglöwen-Wandler noch dauern, bis jemand herausfand, dass es auch eine besondere Adler-Spezies gab? Ihrer Meinung nach hatten die Wandler mehr Chancen, wenn sie zusammenarbeiteten, sei es in ihrem Bemühen, sich vor den Menschen zu verstecken, oder um sich ihren Platz unter den Menschen zu erkämpfen.
Aber sie hatte leicht reden, schließlich war sie nicht davon betroffen und wusste nicht, wie es war, so leben zu müssen. Und sie konnte sich die Reaktion der Menschen vorstellen, wenn sie erfuhren, dass solche bisher unbekannten Spezies existierten. Wenn sie Coyle nicht vorher in Menschenform kennengelernt hätte, wäre sie wahrscheinlich auch nicht so schnell bereit gewesen, ihn als Berglöwen zu akzeptieren. Oder sich sogar in ihn zu verlieben.
Marisa schloss für einen Moment die Augen, um sich zu beruhigen. Es war dumm, jetzt über ihre Gefühle nachzudenken, und gefährlich war es auch, weil es sie zu sehr ängstigte und ablenkte. Wenn Coyle und die anderen wieder frei waren, hatte sie noch genug Zeit, sich über ihre Empfindungen klar zu werden. Auch wenn sie befürchtete, dass sich daran nichts mehr ändern würde, egal wie die Sache ausging. Verdammt! Ihr Fuß blieb an einer Wurzel hängen, und sie riss die Augen auf. Sehr schlau, mit geschlossenen Augen durch den Wald zu laufen. Sie musste sich dringend konzentrieren, wenn sie die Sache überleben wollte.
Hoffentlich würde sie nach der Befreiung der Gefangenen noch Gelegenheit haben, sich mit dem Adler zu unterhalten, denn sie hätte zu gern gewusst, woher er Amber kannte und warum es ihn interessierte, was mit ihr passierte. Aber für den Moment würde sie ihren Kopf leeren und einen Fuß vor den anderen setzen, bis sie am Ziel angekommen war. Wo immer das auch sein mochte.
Dass sie sich dem Lager der Entführer langsam näherten, erkannte sie an der Art, wie der Adler immer häufiger vor ihr kreuzte und sein Tempo immer mehr verringerte. Marisa bemühte sich, leiser aufzutreten und sich nicht durch knackende Äste zu verraten. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, bewegten sie sich in weitem Bogen um etwas herum. Schon bald konnte sie den Geruch von Kaffee und Bohnen wahrnehmen und hörte Stimmen und Gebell. Jetzt verstand sie, warum der Adler sie nicht auf direktem Weg zum Lager geführt hatte – wenn die Hunde sie gewittert hätten, wäre sie sofort entdeckt worden. So war sie auf der windabgewandten Seite und brauchte nur noch aufzupassen, dass niemand über sie stolperte oder sich ihr von hinten näherte. Was schwierig und nervenaufreibend genug sein würde.
Vorsichtig schlich sie weiter vorwärts, bemüht, die Zweige rechts und links von ihr nicht zu berühren. Glücklicherweise schien Angus zu verstehen, worum es ging, denn obwohl sein Fell im Nacken gesträubt war, blieb er völlig still. Sie konnte den Adler nicht mehr sehen, dazu war die Vegetation zu dicht, doch sie spürte, dass er noch da war und sie beobachtete.
Schließlich erreichte sie den äußeren Bereich des Lagers und duckte sich hinter einen jungen Baum, der umgeben von Farnen und anderen hüfthohen Pflanzen auf einem umgestürzten Baumstamm wuchs. Es waren Zelte aufgestellt worden, vor einem befand sich eine Feuerstelle, um die sich einige
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