Ghostwalker 03 - Raven, M: Ghostwalker 03
drohend auf sie zukam.
„Hallo, Nolen. Ich bin es, Amber. Erinnerst du dich an mich?“ Er legte den Kopf schräg, gab aber keine Antwort. „Es sind Menschen in den Wäldern unterwegs, die nichts Gutes im Sinn haben. Conner wurde schwer verletzt, und sein Sohn Melvin ist verschwunden. Der Rat bietet allen Einzelgängern an, ins Lager oder zumindest in unser Gebiet zurückzukommen, damit ihr in Sicherheit seid.“ Oder zumindest sicherer als allein, aber das sagte sie nicht dazu.
Nolen war etwa in ihrem Alter, sie konnte sich noch gut an ihn als Kind erinnern, auch wenn er schon damals lieber für sich geblieben war. Ihre Mutter hatte ihn eine Zeit lang als potenziellen Partner für Amber gesehen, doch sie hatte keinerlei Interesse gezeigt, und auch Nolen war lieber allein in den Wäldern unterwegs gewesen, als sich um Frauen zu bemühen. Kurze Zeit später hatte er das Lager verlassen.
Amber schlang die Arme um ihren Körper, um den kalten Wind abzuhalten. Ihre Zehen waren inzwischen schon fast im Schnee erfroren. Lange würde sie nicht hierbleiben können, wenn der Berglöwenmann ihr nicht etwas entgegenkam. „Kannst du wenigstens mit mir reden?“ Vielleicht klang sie ein wenig ungeduldig, aber langsam reichte es ihr, immer den Alleinunterhalter zu spielen. Die Einzelgänger hätten wenigstens so höflich sein können, ihr zu sagen, dass sie nicht mitkommen würden. Wenn sie sich überhaupt noch verwandeln konnten; manche verlernten es mit der Zeit oder weigerten sich schlicht und einfach.
Als wieder keine Antwort von Nolen kam, stieß Amber einen tiefen Seufzer aus, der eine Dampfwolke gen Himmel sandte. „Schade, aber wenn du nicht willst, kann ich dich nicht zwingen. Mach’s gut.“ Enttäuscht wandte sie sich um.
„Warte.“ Es war mehr ein Grollen als ein wirkliches Wort, aber für Amber klang es himmlisch. Rasch drehte sie sich zu Nolen zurück. Er hatte sich verwandelt und stand nun schwankend auf zwei Beinen. Es schien, als wäre er schon lange nicht mehr Mensch gewesen, seine Augen waren immer noch purer Berglöwe, und als er den Mund öffnete, konnte sie seine Reißzähne sehen.
Zögernd trat sie einen Schritt näher. „Es ist schön, dich wiederzusehen.“ Er wirkte älter als seine dreißig Jahre, das harte Leben in der Wildnis hatte seinen Körper geprägt.
„Gibt es wirklich eine Gefahr, oder ist es nur ein Versuch, uns ins Lager zurückzulocken?“ Noch immer lag das Grollen des Berglöwen in seiner Stimme.
„Es ist wahr. Vor drei Monaten wurde Bowen entführt, und seitdem sind irgendwelche Verbrecher auf unserer Spur. Wir haben sogar das alte Lager aufgeben müssen und sind tiefer in die Wildnis gezogen.“
Nolen sah sie einen Moment lang forschend an und neigte dann den Kopf. „Ich glaube dir.“
„Dann kommst du mit?“
Er blickte hinter sich. „Das geht nicht.“
„Warum nicht? Wenn du Angst hast, dass jemand etwas gegen dich haben oder dich schlecht behandeln könnte, kann ich dich beruhigen. Die anderen werden sich bestimmt freuen, dich wiederzusehen.“
„Darum geht es nicht.“ Wieder sah er sich um. Schließlich schien er eine Entscheidung zu treffen. „Komm mit.“
Nach kurzem Zögern folgte sie ihm in ein Dickicht, dessen Boden weitgehend frei von Schnee war. Nolen verwandelte sich wieder, und Amber tat es ihm gleich, weil sie in Berglöwenform wesentlich leichter in dem Gestrüpp vorwärtskommen würde. Es wurde immer dichter, je tiefer Nolen sie führte, und sie wurde langsam nervös, als sie kein Ziel erkennen konnte. Doch dann roch sie es: weitere Berglöwen! Lockte er sie in eine Falle? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Was hätte er davon gehabt? Sie wollte ihm doch nur helfen. Amber sah sich um, konnte aber keinen Ausweg aus dem Gewirr aus Zweigen erkennen. Vermutlich genau der Grund, warum Nolen diesen Platz als seinen Unterschlupf gewählt hatte.
Als sie wieder zu ihm zurückblickte, war er verschwunden. Noch vorsichtiger folgte sie seiner Geruchsspur, bis sie zum Eingang einer Höhle kam, der nicht viel größer war als sie selbst. Amber schlüpfte hindurch und brauchte einen Moment, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Sie stand in einer Art Vorraum, von dem mehrere Gänge abgingen. Wieder folgte sie dem Weg, den ihre Nase vorgab, und kam schließlich in einen großen Raum, der durch einen schmalen Schlitz in der Decke erhellt wurde.
Nolen stand neben einer Wandlerin in Berglöwengestalt und hatte seinen Kopf zu Boden gesenkt.
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