Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
Brustrekonstruktion zu sein, auf die sie sich freute.
»Ich wollte meinen Busen immer vergrößern lassen, und jetzt zahlt mir das sogar die Krankenkasse«, gluckste Kate.
Das hatte ich sie oft zu ihren Freundinnen sagen hören. Ich freute mich darüber, weil diese Haltung ein Schritt nach vorn war und eine weitere Tür vor dem Brustkrebs schloss.
»Nein, Singe, ich möchte unsere Lapplandreise nicht verschieben«, sagte Kate entschlossen. »Stell dir nur mal vor, was die Jungs für einen Spaß haben werden. Sie sind jetzt im perfekten Alter, um den Weihnachtsmann am Nordpol zu sehen. Es wird einfach zauberhaft sein. Wir müssen es jetzt machen, bevor es zu spät ist.«
Für mich hieß das: Bevor die Jungs zu alt dafür waren. In der Theorie hatte Kate ja recht. Reef war fünfeinhalb und Finn fast vier, also waren sie im absolut idealen Alter.
»Du darfst aber die Jungs nicht immer an die erste Stelle setzen«, sagte ich. »Natürlich sind sie jetzt im perfekten Alter, aber sie werden es auch im nächsten Jahr noch genießen und du ebenso, weil du dann kräftiger bist.«
Sie schüttelte den Kopf, und ich sah den eisernen Willen in ihren Augen.
»Wir fahren«, sagte sie mit Nachdruck. »Egal was du sagst, du wirst es mir nicht ausreden können. Wir werden es nicht bereuen. Und außerdem, seit wann lässt du dich von einer Reise abbringen?«
Ich lachte. »Es gibt für alles ein erstes Mal«, sagte ich.
»Und dieses Jahr an Weihnachten werden die Jungs zum ersten Mal nach Lappland fahren«, erwiderte Kate.
Ich stritt mich nicht weiter, stattdessen buchten wir den Urlaub für den Tag, an dem die Jungs ihren letzten Schultag hatten. Am Heiligen Abend sollten wir zurückkommen. Als die Tickets eintrafen, war Kate vor Freude ganz aus dem Häuschen und klatschte in die Hände wie ein kleines Mädchen. Reef und Finn sprangen auf die Nachricht hin auf und ab, kreischten und jubelten, und der ganze Dezember gestaltete sich zu einem aufgeregten Countdown, weil die Jungs ständig fragten: »Wie oft müssen wir noch schlafen, bevor wir nach Lappland fahren?«
Kate stürzte sich mit Begeisterung in die Vorbereitungen, obwohl sie jedes Mal, wenn der Tag sich neigte, ziemlich mitgenommen aussah.
»Bist du dir absolut sicher, dass du das packst«, fragte ich sie mehrmals.
»Singe, hör auf, mich das ständig zu fragen!«, protestierte sie. »Es wird mir gutgehen.«
Kate putschte die Jungs für die Reise derart auf, dass ich mich am Ende auch von diesem Zauber einfangen ließ. Ich malte mir die perfekte Weihnachtswunderwelt aus, in die wir, sobald wir aus dem Flugzeug stiegen, eintauchen würden, eine Welt wie Disneyland, aber mit Schnee. Tatsächlich jedoch war es ein ziemlicher Schock für mich, weil ich nicht damit gerechnet hatte, wie fürchterlich kalt und dunkel es sein würde. Als wir am frühen Nachmittag ankamen, war der Himmel bereits schwarz, und ich fand es kälter als überall anders, wo ich bisher gewesen war. Die eisige Luft verschlug mir den Atem, und jedes Stück Haut, das ihr ausgesetzt war, brannte vor Kälte.
»Darauf war ich nicht gefasst«, sagte ich zu Kate und stemmte mich gegen den heftigen Wind. »Ist bei dir alles gut? Haben wir genug warme Sachen dabei?«
»Unmengen«, erwiderte Kate lächelnd, setzte eine dicke Fellkappe auf und wickelte Reef und Finn in Anoraks, Mützen, Schals und Handschuhe.
Kate sah glamourös und schön aus. Ihre Haare, seit der Chemo zwar nachgewachsen, waren kurz und dünn und viel dunkler als zuvor. Jetzt, da ihre neuen Haare unter der Kappe versteckt waren, sah Kate wieder viel mehr wie sie selbst aus. Es hätte mich nicht überrascht, wenn sie beim Absetzen der Kappe wieder ihr glänzendes blondes Haar frei geschüttelt hätte.
Wir gingen gleich am ersten Abend mit Reef und Finn neben dem Hotel Schlitten fahren. Beide Jungs stürzten sich furchtlos den Abhang hinunter und rasten mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die eisige Luft. Finn wollte typischerweise schneller und weiter fahren als alle anderen.
»Ich frage mich, von wem er das hat?«, zog Kate mich auf. »So ein verrücktes Huhn!«
»Du musst grad reden«, frotzelte ich zurück. »Ich denke, er hat auch ein paar Gene seiner waghalsigen Mutter mitbekommen.«
In dem Moment startete Finn noch extravaganter als zuvor, nämlich Kopf voraus im Skeleton-Stil. Er ging ab wie eine Rakete. »Bist du wahnsinnig, Finn!«, schrie Kate. Dann schrien wir unisono: »Finn, NEIN !«, derweil mussten wir mit
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