Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
hatte sie sich doch zu viel zugemutet. Jede Nacht schickte sie mich los, um nach dem Nordlicht Ausschau zu halten, und jedes Mal wurde sie enttäuscht.
»Wir werden ein andermal Gelegenheit haben«, sagte ich ihr. »Wenn wir es hier nicht sehen, können wir irgendwann mal nach Skye fahren.«
Nach einer Woche freute ich mich darauf, an Weihnachten wieder zu Hause zu sein, wo wir die Schotten dichtmachen und dafür sorgen konnten, dass Kate es bequem hatte.
»Wie kommen Sie mit den Andenkenkisten voran?«, erkundigte sich Maria. Mit ihrer freundlichen Stimme zog sie mich wieder zurück auf die Bank in Plantations und rettete mich somit vor der eisigen Erinnerung an das, was nach Lappland gekommen war.
»Lustig, dass Sie Andenken erwähnen«, sagte ich und musste lächeln, als ich versuchte, das Bild von Kate auf dem Schneemobil gedanklich festzuhalten.
Maria lächelte mich warmherzig an. Ich erzählte ihr von den Piratentruhen, die ich in Deutschland bestellt hatte, und sie meinte, ich könne auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um Zeitungsausschnitte zu schützen, Fotos zu laminieren und so weiter.
»Ich kann mir vorstellen, dass Sie jetzt viel auszusortieren haben«, sagte sie einfühlsam.
Ich sah den Jungs zu, die auf der Hüpfburg ihren Spaß hatten. Sie machten einen völlig unbeschwerten Eindruck. Ihre Erinnerungen an Kate konnten nur zwei, höchstens drei Jahre zurückreichen. An Lappland und Disneyland würden sie sich erinnern, und ich war mir auch ziemlich sicher, dass Reef sich noch an seine Zeit im Krankenhaus, mit seiner Mama an seinem Bett, erinnerte. Und hoffentlich erinnerten die Jungs sich auch noch daran, wie sie mit Kate im letzten Sommer Krabben am Strand gefangen haben, immerhin haben wir damals ein großes Trara darum veranstaltet und hinterher ein wunderschönes Foto gerahmt, um ihrer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. Ein Abzug davon würde auf jeden Fall einen Ehrenplatz in ihren Schatztruhen bekommen.
Aber was sonst? Es gab so viele Geburtstage und Weihnachten, so viele Höhepunkte, die Kate wichtig waren und die sie nicht vergessen sollten.
Es gab natürlich auch Tiefpunkte, und dabei fiel mir ein, dass ich darauf achten musste, die Vergangenheit nicht zu verklären. Das Leben war kein einziges großes Fest, vor allem war Kate ein Mensch, der die kleinen Dinge des Lebens genauso zu schätzen wusste wie die großen aufregenden Ereignisse.
Daran erinnerte mich Kates Liste. »Mummy liebte Nachtfalter, Schlangen und Blindschleichen, Orangenbiskuitkekse, Marmelade und Gelee, Zitronenaufstrich.« »Liebte Meerschweinchen und Schmetterlinge, Walnut Whips, Erdbeerkäsekuchen.«
Ich musste mich Kates Führung anvertrauen und auch Andenken an ganz gewöhnliche Alltagserlebnisse aufbewahren, obwohl wir in unserer Welt immer bemüht waren, jeden Tag zu einem besonderen und außergewöhnlichen zu machen.
An diesem Abend schliefen die Jungs ein, sobald ihre Köpfe die Kissen berührten. Es war ein großartiger Tag gewesen, und ich fühlte mich motiviert, die Andenkenkisten in Angriff zu nehmen. Nachdem ich den Jungs ihre Gutenachtküsse gegeben hatte, ließ ich das auch Kate wissen.
»Pass bitte auf die Jungs auf, bist du so nett?«, flüsterte ich mit Blick zu ihr da oben auf dem Schrank. »Ich habe einen großen Auftrag zu erledigen.«
Wir hatten unzählige Fotoalben und stapelweise Fotos auf die Schränke des ganzen Hauses verteilt. Ich wusste, dass einige davon hastig zusammengeworfen waren, andere aber von Kate liebevoll beschriftet und mit Andenken bestückt wie Tickets vom Bungee-Springen oder einer Rechnung aus einem Café am Great Barrier Reef. Anfangs hatte mich die Aussicht, die Fotos durchforsten zu müssen, entmutigt, aber jetzt fühlte ich mich dazu bereit und schlich leise durchs Haus, um sie zusammenzusuchen.
Außerdem zog ich die alten Zeitungs- und Zeitschriftenausschnitte aus den Ordnern und Umschlägen, die im Lauf der Jahre Staub angesetzt hatten, und ging noch einmal an die Schachteln mit den Liebesbriefen, weil ich überlegte, einen oder zwei davon zusammen mit ein paar Hochzeitsbildern in die Andenkenkisten der Jungs zu legen. Schließlich setzte ich mich, umgeben von den vielen Souvenirs meines Lebens mit Kate, auf den Holzfußboden am Fußende meines Bettes.
Als Erstes nahm ich den Deckel einer alten Dokumentenschachtel ab, aus der mich quicklebendig die Bilder unserer Vergangenheit ansprangen. Da war Katie Johnson im Alter von siebzehn Jahren, wie sie
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