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Gib mir deine Seele

Gib mir deine Seele

Titel: Gib mir deine Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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vom Bügel. »Dabei musst du mir aber helfen.«
    Henry assistierte beim Anlegen des Mieders und half ihr in die langärmelige Bolerojacke, die dafür sorgte, dass sich die junge Micaëla als anständiges Mädchen vom Lande deutlich von der leichtlebigen Carmen und ihren Freundinnen unterschied.
    Zum Schluss kniete ihre Freundin vor ihr nieder, um die Schuhe zu schließen.
    »Danke. Es passt wie angegossen. Die Schneiderinnen sind wirklich große Klasse«, sagte Pauline.
    »Das will ich wohl meinen! Schließlich trägst du meine Handarbeit.«
    »Wirklich?« Sie zog Henry hoch und fiel ihr um den Hals. »Du bist die beste Freundin.«
    »Solange du deine Finger von Nicholas lässt …«
    »Du glaubst doch nicht etwa, dass ich mit ihm etwas anfangen wollte?« Der Satz war etwas unglücklich formuliert, jedenfalls verfinsterte sich Henrys Gesicht, und Pauline sagte schnell: »Er ist ein toller Mann, und ich bin gern mit ihm befreundet. Aber lieben kann ich nur Constantin.« Alle Theatralik fiel von ihr ab, als sie leise weitersprach: »Es klingt verrückt, aber er ist mein Universum. Constantin, glaube ich, ist die Liebe meines Lebens!«
    »Die Jugend ist so leichtsinnig!«
    Blitzschnell fuhr sie herum. »Mrs. Corliss!«
    »Für dich, meine Nachtigall, Elena. Komm her, lass dich umarmen!« Dabei zog sie Pauline an sich, spuckte ihr dreimal über die Schulter und drückte ihr etwas Glattes, Kaltes in die Hand. »Toi, toi, toi!«
    »Hui«, sagte Henry, nachdem sich die Tür wieder geschlossen hatte. »Zeig mal, ist das ein Talisman?«
    Pauline streckte ihre offene Hand aus, auf der eine glatte Steinfigur lag. »Eine Göttin aus Mondstein.«
    »Wie günstig, dass dein Rock eine Tasche hat, da kannst du ihn hineinstecken.«
    »Ich bitte alle Sänger und Darsteller des ersten Bildes zur Bühne. Die Vorstellung beginnt in fünf Minuten. Bitte alle beteiligten Künstler zur Bühne.«
    Pauline musste ein wenig zwischen den Falten suchen, bis sie die Tasche fand. Schnell steckte sie den Stein ein. »Ich muss los!« Hastig umarmte sie ihre Freundin und ging mit schnellen Schritten zur Seitenbühne. Wenig später verstummte der Applaus für Maestro Greenberg, und die ersten Töne erklangen aus dem Orchestergraben. Auf der Bühne warteten Statisten, Tänzer und der Chor in nahezu vollkommener Dunkelheit auf ihren Auftritt.

22 Barcelona – Eine Göttin ist geboren
    Noch drei Minuten. Gleich würde sich der Vorhang heben und einen heruntergekommenen Don José zeigen, der den Verstand verloren zu haben schien und recht bald abgeführt wurde. Eine Vorschau auf das zukünftige Schicksal des anfangs noch sehr respektablen Brigadiers, die sich der Regisseur so ausgedacht hatte.
    Während sich das Vorspiel seinem Ende zuneigte, fiel alle Nervosität von Pauline ab. Es war nicht mehr wichtig, wer dort draußen darauf wartete, sie zu hören. Julian saß irgendwo im Publikum, ebenso Elena, Nicholas und natürlich Constantin.
    Sing für mich! Sie glaubte, seine Stimme zu hören, ein Glücks gefühl durchflutete Pauline. Ohne nachzudenken, versprach sie: Nur für dich, Geliebter!
    Keine dreißig Sekunden später stand sie auf der Bühne. Die sehnsuchtsvollen Gesangslinien trugen sie wie auf Engelsschwingen davon, bis sie körperlos dahinschwebte, ein fragiles Geschöpf aus überirdischem Timbre und zarter Stimme. Als Landmädchen verschüchtert vom Trubel der Stadt, unsicher, wo ihr Don José zu finden war. Von den Soldaten frech umworben, ängstlich und unendlich jung fühlte sie sich bei diesem ersten Auftritt, der viel schneller beendet war, als sie es aus den Proben in Erinnerung hatte.
    Henry erwartete sie hinter den Kulissen und flüsterte: »Das war toll! Mach weiter so.« Dann drückte sie ihr den Brief in die Hand, den sie in ihrer nächsten Szene übergeben sollte, und verschwand mit dem Beutel, den Pauline beim ersten Auftritt bei sich getragen hatte.
    Eine große Gestalt tauchte neben ihr auf. Jonathan Tailor, nun wieder ordentlich bekleidet, wie es sich für einen Wachhabenden der Garde gehörte. »Spiel mich nicht an die Wand«, raunte er ihr zu.
    Als ob je die Gefahr bestünde , dachte sie, wagte aber nur ein scheues Lächeln. Vor diesem Weltstar hatte sie einen Heidenrespekt, der während der gemeinsamen Proben womöglich noch größer geworden war.
    » Allez, on y va! Auf geht’s!« Und schon war er auf der Bühne. Wenig später folgte Carmen mit ihrem ersten Auftritt, den sie großartig meisterte. Die Frau war ein

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