Gib mir deine Seele
diese Vielseitigkeit zu einem außerordentlich einträglichen Alleinstellungsmerkmal für dich werden.«
»Du meinst, ich werde gebucht, weil ich in keine Schublade passe?«
»Ganz genau. Aber wir müssen aufpassen, Crossover-Musiker sind in der Klassik nicht gern gesehen. Du hast übrigens eine Einladung zu Stars von morgen . Die Sendung wird von …«
»Ich weiß! Sag zu. Sag unbedingt zu!«
Den Jetlag zu verkraften war Pauline schwergefallen. Ihr Herz geriet in der ersten Woche nach der Rückkehr aus New York entsprechend häufig aus dem Takt. Danach gab es eine Phase relativer Ruhe, doch seit einigen Tagen war das Problem und damit die Sorge zurückgekehrt. Nach einem ausführlichen Telefonat mit ihrem Arzt konsultierte sie den empfohlenen ortsansässigen Kardiologen.
Nachdem dieser sie untersucht und ihre Unterlagen gründlich studiert hatte, kam er zum gleichen Ergebnis wie sein britischer Kollege: »Es ist nicht zu erklären. Ihr Herz zeigt Auffälligkeiten, die man normalerweise eher bei älteren Menschen findet. Da Ihnen aber ansonsten nichts zu fehlen scheint, kann ich Professor Ruppert nur beipflichten. Nehmen Sie Ihre Medikamente, achten Sie auf Fitness, gute Ernährung und einen geregelten Lebenswandel. Dann können Sie ohne Weiteres einhundert Jahre alt werden.«
Er gab ihr seine Karte und verabschiedete sie mit dem Hinweis, sie könne ihn jederzeit anrufen, wenn sie einen Anfall habe. »Sehen Sie es mir nach, wenn ich es erwähne, Ihr Fall könnte wissenschaftlich von Bedeutung sein …« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Natürlich wären Sie bei uns in den besten Händen. Wir haben ja Ihre Unterlagen.«
Pauline kochte innerlich, ließ sich jedoch nichts anmerken. Als Versuchskaninchen war sie willkommen, aber niemand schien ihr helfen zu können.
Die Tour mit Encompassed by Darkness dagegen wurde zu einem Riesenspaß. Überall, wo sie auftraten, nahmen sie gemeinsame Pressetermine wahr, gaben Interviews oder waren zu Gast in regionalen Radioshows.
Sie hatte so viele Termine, dass Pauline fürchtete, die anderen Musiker könnten glauben, sie wollte sich in den Vordergrund drängen. Als sie das Thema ansprach, lachten die Männer nur.
»Wir sind froh, dass du unseren Boss mit deinem weiblichem Charme unterstützt«, sagte der Schlagzeuger.
»Früher mussten wir das immer tun, und unsere feminine Seite ist ziemlich unterentwickelt«, ergänzte der Bassist, und alle lachten.
»Kris ist nämlich schüchtern, weißt du?«, sagte er in vertraulichem Ton und wich schnell aus, als der mit einer leeren Plastikflasche nach ihm warf.
Von »Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll« blieb für Pauline nur »Rock«. So wild sich die Band während ihrer Auftritte gab, abseits der Bühne entsprachen die Musiker kaum dem gängigen Klischee. Niemand von ihnen trank beispielsweise Alkohol vor dem Auftritt, und Drogen waren kein Thema. Hinterher feiern, das konnten sie allerdings, und auch Pauline hatte großen Spaß. Am mitunter etwas rauen Ton, der dabei herrschte, störte sie sich nicht.
»Das bin ich vom Theater gewohnt«, sagte sie, als sie in einem Interview darauf angesprochen wurde. »Im Grunde ist es nichts anderes, als mit einem Orchester auf Reisen zu sein, nur die Kleidung der Musiker ist kreativer zusammengestellt.«
Inzwischen war sie vollkommen akzeptiert, selbst wenn die Support-Band anfangs verunsichert gewirkt hatte. Doch das hatte sich bald gelegt. Auch daran, dass Nicholas ihr wie ein Schatten folgte, gewöhnten sich alle. Backstage drehten sie vor jedem Gig ein Video, das ein oder zwei Tage später im Internet zu sehen war. Gelegentlich ließ sich auch Pauline filmen, sang dabei ein paar Strophen oder alberte mit den anderen herum.
Während die Band in einem Nightliner unterwegs war, reiste Pauline mit Nicholas im Auto hinterher und wohnte in Hotels. Einmal war etwas mit der Reservierung schiefgelaufen, und weil gleichzeitig eine Messe stattfand, mussten sie sich ein Doppelzimmer teilen. In jener Nacht schliefen sie zwar nicht miteinander, aber Pauline genoss es, in seinen Armen aufzuwachen. Es waren merkwürdigerweise diese Momente der innigen Zärtlichkeit, in denen sie sich am stärksten nach Constantin sehnte.
Den meisten Fans gefielen die musikalischen Eskapaden ihrer Lieblingsband – sie reagierten aufgeschlossen und interessiert. Aus dem klassischen Kulturbetrieb dagegen hörte man durchaus kritische Stimmen. Einige schienen regelrecht auf erste Anzeichen zu lauern, dass Paulines
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