Gib mir deine Seele
Hauch Parfüm. Fertig. Vor dem Spiegel blieb sie kurz stehen.
Das im Empirestil geschnittene Oberteil des Kleides schimmerte in einem pudrigen Pastellton, darunter fielen wie bei einer Ballerina mehrere unterschiedlich lange, schräg geschnittene Lagen aus zartem Chiffon in derselben Farbe bis knapp über ihre Knöchel. Perlenstickereien am Oberteil, ein dezenter Ausschnitt, dazu die Nymphensandalen – Pauline nannte sie so, weil sie an die Antike erinnerten.
Eines muss man ihm lassen, er hat ein erstklassiges Gespür für Mode , dachte sie nicht ohne Neid. Sie dagegen besaß das zweifelhafte Talent, immer dann danebenzugreifen, wenn sie für einen besonderen Anlass einkaufte.
Um Constantin nicht zu verärgern, beeilte sie sich, ins Wohnzimmer zurückzukehren. Er stand am Fenster und blickte hinaus.
»Da bin ich.«
Er durfte sie ruhig loben, dass es ihr gelungen war, sich in so kurzer Zeit umzuziehen. Selbst wenn es nicht viel Vorbereitungen brauchte, ein Kleid überzustreifen, wenn man zuvor schon kaum etwas angehabt hatte. Genau genommen war das schon ziemlich seltsam gewesen: Sie im Morgenmantel, er hemdsärmelig, und dennoch hatte sie sich bis eben keine Gedanken über ihr in mehr als einer Hinsicht ungewöhnliches Abendessen gemacht.
Nun trug Constantin einen Smoking und sah fabelhaft darin aus. Sein Haar glänzte wie die blanken Revers der garantiert maßgeschneiderten Jacke und fiel ihm ins Gesicht. Ungeduldig schob er es zurück und musterte sie stumm mit diesen unfassbar blauen Augen.
»Gerade noch rechtzeitig«, sagt er, lächelte aber dabei. »Lass dich ansehen.« Er griff nach ihren Händen und ließ sie die Arme heben, als wollte er sie zum Fliegen animieren. »Bereust du es immer noch, mir vertraut zu haben?«
»Nein.« Plötzlich hatte sie einen Frosch im Hals und musste sich räuspern. »Es ist wunderschön.«
»Dreh dich um.«
Zögernd gehorchte sie. Gleich darauf legte sich etwas Kaltes um ihren Hals. Eine Kette. Nein, ein Collier, filigran, wie aus gesponnenem Silber, in dem diamantene Tränen glitzerten. Ein Meisterwerk! Das musste die Leihgabe eines Juweliers sein.
Wie auf Wolken ging Pauline zum Spiegel und berührte den Schmuck vorsichtig.
»Etwas so Schönes, Zartes habe ich noch nie gesehen.«
War es Stolz, den sie in Constantins Miene entdeckte? Er bedachte sie mit einem beunruhigend sinnlichen Lächeln. Dann nahm er einen Umhang aus der Garderobe und legte ihn ihr um. »Komm, ma petite Cendrillon , der Wagen wartet schon.«
»Aschenputtel? Wir fahren in einem Kürbis?« Diese Vorstellung brachte sie zum Lachen. »Muss ich auch vor Mitternacht wieder zu Hause sein?«
Seine Lippen berührten beinahe ihr Ohr, als er hineinraunte: »Alles andere wäre leichtsinnig, meinst du nicht auch?«
Wenn seine Finger noch länger über die empfindliche Haut an ihrem Nacken strichen, dann könnte es gut sein, dass sie das Haus gar nicht erst verlassen würden. Paulines Knie waren jedenfalls jetzt schon so weich, dass sie Zweifel bekam, ob die sie überhaupt bis zur Tür tragen würden.
Sein zufriedener Gesichtsausdruck zeigte, dass er genau wusste, was er tat. Und mehr noch: Er wusste ebenso sicher, wie es um sie bestellt war.
Während der Fahrt sah Pauline interessiert aus dem Fenster. »Berlin ist vollkommen anders, als ich es mir vorgestellt habe. Henry schwärmt ständig von dieser Stadt, aber ich bin noch nie hier gewesen.«
Kurz darauf beugte sich Constantin vor und zeigte auf ein ziemlich modernes Gebäude. »Dort neben dem Reichstag siehst du das Kanzleramt.«
Sie kannte es bereits aus Nachrichtensendungen, doch es zu sehen war noch einmal anders. »Das unterscheidet sich aber ziemlich von der guten alten Downing Street.«
»Oder vom Elysée-Palast«, fügte er hinzu.
»Bist du Franzose?« Manchmal glaubte sie, einen winzigen Akzent herauszuhören, wenn er französisch redete. Und dann war da ja auch noch diese seltsame Sprache, die er vorhin gesprochen hatte.
»Ja«, sagte er.
Sie wollte mehr fragen, aber da zog er eine Maske aus seiner Tasche. »Die wirst du tragen.«
Vorsichtig nahm Pauline sie in die Hand. Sie schien mit demselben Stoff bezogen zu sein, aus dem das Oberteil ihres Kleids bestand. Eine Ecke war kunstvoll mit silbernen Fäden bestickt, die an ihr Collier erinnerten. Constantin hatte wirklich an alles gedacht. Wie lange hatte er diesen Ausflug schon geplant?
Eine andere Frage war ihr nun aber wichtiger: »Warum soll ich eine Maske tragen und du
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