Gib mir deine Seele
Leute, die ihnen jede Frage beantworteten. Zweifellos der bestvorbereitete Wettbewerb, an dem Pauline jemals teilgenommen hatte.
Beim Hinausgehen trafen sie wieder auf Stefan, der jetzt von einer Kamerafrau namens Minka – jedenfalls stand das auf ihrem Backstage-Pass, den sie um den Hals trug – begleitet wurde. Mit ihren Piercings und den blutroten Haaren fiel sie ziemlich aus dem Rahmen. Pauline mochte sie sofort, und ihr Lächeln wurde mit einem verschwörerischen Zwinkern beantwortet.
Stefan fragte, ob sie einen Augenblick Zeit für die ersten Aufnahmen habe. »Sie kommen dort durch die Tür und stellen sich dann kurz vor. Sagen Sie einfach, wie Sie heißen, woher Sie kommen und vielleicht ein paar Worte dazu, welche Bedeutung diese Veranstaltung für Sie hat.«
Henry wollte zur Seite treten, doch er sagte: »Zusammen geben Sie ein tolles Motiv ab. Könnten Sie Ihre Begleiterin nachher auch vorstellen, Ms. Roth?«
»Nennen Sie mich bitte Pauline, und das ist meine Freundin Henry.«
Die Aufnahmen waren erstaunlich schnell gemacht. Anfangs hatte sie sich verhaspelt, aber Minka zeigte viel Geduld mit ihr. Nachmittags war eine Stunde Zeit eingeplant, sich mit dem Pianisten zu besprechen, der sie im Wettbewerb begleiten würde. Also kehrten sie nach einem leichten Mittagessen pünktlich ins Theater zurück, wo sich Henry auf die Suche nach Janice machte, während sich Pauline einsang.
Der Mann hieß Julian und war ein musikalisches Genie. Er spielte Mozart extrovertiert und mit der inneren Spannung eines Konzertpianisten. Dabei kroch er fast in den Flügel hinein – wie ein scheuer Engel, fand Pauline. Das passende Gesicht dazu besaß er auch. Und irgendwie kam er ihr bekannt vor.
Pauline war es peinlich, aber schließlich sagte sie: »Du weißt schon, dass du mich begleiten sollst und nicht umgekehrt?«
Julian sah sie erst irritiert an, dann lachte er auf eine so charmante Art, dass sie es ihm nicht übel nahm, kostbare Übungszeit für seine Extratouren verschenkt zu haben.
»Entschuldige, du hast recht. Ich bin ein Egoist, und gleich ist unsere Zeit um. Können wir nicht anderswo weitermachen? Diese tristen Proberäume deprimieren mich ohnehin ungemein.«
»Und an was hattest du so gedacht?«, fragte sie misstrauisch.
»Mein Hotel … nein, lass mich ausreden«, sagte er schnell, als sie protestieren wollte. »Es liegt ein paar Minuten von hier, und dort kann ich einen Raum nutzen, in dem ein passabler Flügel steht.«
Es klopfte, ihre Stunde war vorüber.
»Wie ist es gelaufen?« Draußen wartete Henry, deren nervöses Zwinkern Pauline allerdings nicht recht zu deuten wusste.
»Wir, ähm, hatten ein paar Probleme. Julian war so freundlich, mir anzubieten, woanders weiterzuarbeiten. Es wäre schön, wenn du mitkommen könntest.« Dem Nachsatz verlieh sie eine besondere Betonung. »Sie kann uns doch begleiten, nicht wahr, Julian?«
Pauline machte die beiden miteinander bekannt, und gemeinsam verließen sie das Theater durch den Bühnenausgang. Julian pfiff ein Taxi herbei, und keine zehn Minuten später stand sie an einem Steinway-Flügel, der sich keineswegs nur passabel anhörte.
Dieses Mal ging er auf sie ein, folgte ihr und unterstützte ihre Stimme auf bemerkenswerte Weise.
Warum nicht gleich so? , dachte Pauline und überlegte, ob es ein Trick gewesen war, sie in sein Hotel zu lotsen. Aber nein, in diesem Augenblick sah er auf die Uhr und sprang auf. »Ich habe leider noch einen Termin. Wir sehen uns morgen.« Julian deutete einen Handkuss an, winkte Henry mit jungenhaftem Charme zu und eilte mit langen Schritten durch die Tür hinaus.
Kaum hatten sie das Hotel verlassen, zog Henry sie so heftig am Ärmel, dass Pauline aufschrie. »Spinnst du, was soll das?«
»Weißt du eigentlich, mit wem du da gearbeitet hast?«
»Na, mit einem der Korrepetitoren des Wettbewerbs. Was sonst?«
»Und du wunderst dich gar nicht, dass der einfach so aus dem Theater läuft, statt seine nächsten Schäfchen zu betreuen?«
»Ein wenig merkwürdig war das schon«, gab Pauline zu. »Auch die Sache mit dem Hotel. Ich bin froh, dass du mitgekommen bist.« Obwohl dieser Julian nicht gefährlich gewirkt hatte . Plötzlich dämmerte es ihr. »War das etwa der Julian Fray?«
Natürlich, deshalb war er ihr auch bekannt vorgekommen! Überall in der Stadt hingen Plakate, die für eine Veranstaltung am Wochenende warben.
»Genau«, bestätigte Henry, als sie auf dem Weg zur U-Bahn auf eines davon zeigte. »Das
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