Gib mir deine Seele
Konzert ist seit Wochen ausverkauft.«
Pauline wurde etwas flau im Magen. Das konnte doch kein Zufall sein. Ob ihre Agentur das Treffen arrangiert hatte, um sie zu prüfen? Von deren Website wusste sie, dass der erfolgreiche Pianist ebenfalls von IA-NY vertreten wurde. Um sich abzulenken, erkundigte sich Pauline nach Janice.
Henry erzählte, dass diese bei ihrem Treffen ziemlich aufgeregt gewesen sei. »Ich habe angeboten, bei ihr zu bleiben. Aber du weißt ja, wie sie ist. Es hat nicht viel gefehlt, und sie hätte mich achtkantig rausgeschmissen.« Sie kichert. »Denkbar ungünstig in diesem Job, wenn man vor einem Auftritt niemanden um sich haben kann.«
»Was singt sie denn?«
» Auch›Martern aller Arten‹,wie du. Dazu haben sie ihr›Addio del passato‹ aus La Traviata aufs Auge gedrückt . «
»Puh! Verdi ist nicht eben ihre Stärke.«
»Und dann noch die Schluss-Szene …«
Sie sahen sich an. Janice, die ständig gegen ihre Pfunde ankämpfte, war das blühende Leben. Ein Mädchen vom Lande, wie man es typischer nicht hätte malen können. Ausgerechnet sie eine geschwächte Sterbende überzeugend darstellen zu lassen war gemein.
»Da habe ich es besser getroffen.«
»Bizets Micaëla wäre auch nicht ihr Ding«, sagte Henry und klang dabei eine Spur boshaft. »Janice bleibt auch dann ein Landei – aber wenn du es singst, klingt sie zart, ein bisschen verloren in der großen Stadt und trotzdem mit dem festen Willen, ihren Liebsten nach Hause zu holen.« Sie hatten ihr Ziel erreicht und gingen hinab zur U-Bahn. »Wir sind übrigens um sieben mit Janice zum Essen verabredet.«
Pauline protestierte, doch Henry duldete keinen Widerspruch.
»Wir reden nicht über den Wettbewerb. Ich weiß, dass dich das nervös macht, und Janice will es bestimmt auch nicht. Nur für eine Stunde oder so. Es lenkt euch ab, und essen müsst ihr sowieso.«
»Wenn ich überhaupt etwas runterkriege.«
»Das wirst du, es gibt einen ruhigen, kleinen Italiener gleich um die Ecke von unserer Pension. Das Restaurant ist echt gut, und auf der Karte stehen auch ganz leichte Gerichte.«
»Du bist ein Schatz. Was täte ich nur ohne dich hier in der Fremde?«
»Wahrscheinlich hättest du ein Techtelmechtel mit deinem schnuckligen Pianisten.«
»Ganz bestimmt nicht. Der kaut Fingernägel.«
»Wenn das der einzige Grund ist …«
Pauline wusste natürlich, worauf Henry anspielte. Janice hatte ihren derzeitigen Lover mitgeschleppt, und Henry fragte sich bestimmt, warum Constantin nicht nach München gekommen war.
»Ich habe ihm gesagt, dass er nicht kommen soll. Ich muss mich auf den Wettbewerb konzentrieren … und das kann ich nicht, wenn er in der Nähe ist«, sagte sie deshalb leise, ohne gefragt worden zu sein.
»Das wird ihm geschmeichelt haben.«
»Als Antwort kam der Zauberkoffer. Übel genommen hat er es mir also nicht.«
Den Tag ihres Auftritts begann Pauline mit einem ausgiebigen Frühstück, denn bis zum Abend würde sie nichts mehr essen. Danach ging sie die Partituren noch einmal durch und erlaubte sich eine Stunde Yoga.
Es wäre übertrieben gewesen zu behaupten, sie sei entspannt. Doch als sie die Oper durch den Bühneneingang betrat, befand sie sich in ihrer eigenen Welt aus Theaterluft und Auftrittsroutine. Henry kümmerte sich glücklicherweise um alles Irdische, und so konnte sie bald darauf ungestört ihre Stimme vorbereiten. Frisiert und geschminkt war sie bereits.
»Störe ich dich auch nicht?«, fragte Henry.
»Überhaupt nicht. Wenn es dich nicht stört, dass ich ziemlich maulfaul bin.«
Ihre Freundin setzte sich auf einen Stuhl und zog ein Buch aus der Tasche. »Ich bin gar nicht da.«
Als ihre Stimme warm gesungen war, half ihr Henry, das Kleid anzuziehen, ohne die Frisur zu verwüsten – was nicht so einfach war, weil sich unter dem Rockteil eine Lage eigenwilligen Tülls befand. Schließlich trat Henry einen Schritt zurück und begutachtete Pauline zufrieden.
»Süß! Fehlt nur noch das Blumenkörbchen.«
Da klopfte es, und das Kamerateam stand vor der Tür. »Nur einen schnellen Take von Ihrer Vorbereitung«, bat Stefan.
Pauline tat ihnen den Gefallen und erhielt dafür ein strahlendes Lächeln von Marcella, die ebenfalls in der Tür aufgetaucht war und lautlos signalisierte, dass sie mit der Auswahl ihres Kostüms zufrieden war. Wenige Momente später ertönte die Durchsage der Inspizientin: »Pauline Roth bitte zur Bühne.«
Auf der Seitenbühne trafen sie Julian, der sie auf Pariser
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