Gib mir deine Seele
zinsloses Privatdarlehen, das sie am Ende des Jahres von ihren Gagen zurückzahlen musste. Konnte sie das nicht, würde das Häuschen Constantin gehören, allerdings mit der Garantie, dass sich für Marguerite nichts änderte und sie ein Leben lang kostenlos darin wohnen dürfe. Sogar für Reparaturen würde Constantin aufkommen, sofern dies notwendig wäre.
Pauline fand das Angebot fair. Über ein gut gefülltes Konto verfügen zu können hieß ja nicht, dass sie sich daraus bedienen musste. Sie nahm sich vor, sparsam zu sein, unterschrieb und erhielt einige Tage später die Bankunterlagen samt Kreditkarte.
Ihre Yogastunden verlegte sie in das Stadtteil-Kulturzentrum von Ealing. Finanziell bedeutete das zwar Einbußen, aber sie durfte den Raum der Gesangsgruppe täglich bis zehn Uhr kostenlos nutzen. Und auch wenn das Klavier ziemlich schräg klang und es nicht ideal für die Stimme war, gleich nach dem Aufstehen zu üben, war allemal besser, als aus der Wohnung zu fliegen. Für eine höhere Miete irgendwoanders wollte sie das neue Geld keinesfalls ausgeben.
Der Hausbesitzer schien zum neuen Jahr Ernst machen zu wollen und hatte ihnen geschrieben, dass eine weitere Beschwerde der Nachbarn über das Gejaule ihre fristlose Kündigung zur Folge haben würde. Außer der beinahe tauben Miss Eagles, die sich über alles beklagte, hatte sich zwar ihres Wissens noch nie jemand beschwert, doch wahrscheinlich wollte er die Wohnung zukünftig teurer vermieten.
Die Gegend, in der sie wohnten, schien begehrt zu werden. Nina, Davids Freundin, war ebenfalls kürzlich aus diesem Grund aus ihrem Mini-Apartment rausgeflogen und hauste nun gemeinsam mit David im Studio. Doch darüber würde Pauline nachdenken, wenn es so weit war. Momentan interessierte sie sich eigentlich nur für den Wettbewerb.
Elena Corliss bestellte sie regelmäßig ein, um ihre Fortschritte zu kontrollieren, und einmal hätte es beinahe Streit wegen der Mozart-Arien gegeben. Pauline fühlte sich in der ihr vertrauten Partie der Blonde wohl. Das war eine wichtige, aber nicht mörderisch herausfordernde Rolle. Ihre Lehrerin verlangte jedoch mehr. »Du bist kein Lied-Typ. ›Martern aller Arten‹ ist genau das Richtige für dich. Wir werden diese Konstanze einstudieren, dass der Jury die Ohren schlackern. Einverstanden?«
Was blieb ihr übrig, außer zuzustimmen? Elena Corliss benahm sich zuweilen ebenso Furcht einflößend wie Constantin.
Zufällig sang Janice genau diese Partie in einer Inszenierung irgendwo in Deutschland und schickte regelmäßig Mails, in denen sie von ihrem dortigen Gesangscoach schwärmte. Zweifellos war sie ebenfalls gut auf den Wettbewerb vorbereitet.
Henry ging zur Uni oder entwarf Kostüme, das Singen schien sie aufgegeben zu haben. Netterweise half sie Pauline beim Einstudieren der deutschen Mozart-Texte, ansonsten sahen sie sich selten. Nur einmal – bis zum Wettbewerb waren es nur noch wenige Tage – verabredeten sie sich zum Einkaufen. Pauline brauchte wenigstens zwei Kleider und ein Paar Schuhe, in denen sie sich auf die Bühne wagen konnte, ohne sich vollkommen zu blamieren. Heilfroh, dass die Freundin sie beriet, gab sie schließlich viel mehr aus als ursprünglich geplant.
Noch glücklicher war sie, als Henry mit Tickets wedelte und ihr eröffnete, sie würde gemeinsam mit ihr nach München fliegen. Henry hatte sich entschieden, das Praktikum in Barcelona zu machen und wollte ihren Eltern, die am Starnberger See lebten, diese Nachricht lieber persönlich überbringen.
»Außerdem will ich dich siegen sehen!«, sagte sie.
»Und Janice?«
»Ganz ehrlich? Sie ist gut, und bis vor Kurzem hätte ich nicht gedacht, dass du ihr jemals das Wasser reichen könntest. Sorry«, sagte sie verlegen. »So war es. Aber seitdem du deine Stimme gefunden hast, ist alles anders. Man könnte fast glauben, dich hat die Muse geküsst.«
»Der Einzige, der mich in letzter Zeit geküsst hat, war Constantin. Und das ist auch schon wieder ewig her. Leider.«
»Es hat dich echt voll erwischt, oder?«
»Dich etwa nicht?«
Henry schmunzelte verträumt. »Ich fürchte, ja. Wenn Nicky mir nicht so zugeredet hätte, die Chance unbedingt zu nutzen, wäre ich wahrscheinlich seinetwegen lieber hiergeblieben.«
»Nicht wegen deiner Tanzgruppe?«
»Die haben sich total zerstritten und reden nicht mehr miteinander.«
»Wie schade. Und was sagt Nicholas dazu, dass du nun tatsächlich nach Spanien gehst, statt hier weiter Musik zu
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