Gib mir deine Seele
Nächste auf seiner Abschussliste. Sie hatte ihm damals einen Korb gegeben.
»Die folgenden sechs Genannten sind schon jetzt für die Platzierungsrunde und den Galaabend nominiert. Die anderen sehen wir morgen wieder.«
»Pauline Roth …«
Alles Weitere bekam sie nur noch mit halbem Ohr mit. Ich darf bei der Gala singen. Ich darf bei der Gala singen. Es summte in ihrem Kopf.
»Die Veranstaltung wird in drei Ländern ausgestrahlt und live im Internet zu sehen sein. Denken Sie bitte daran, wenn Sie Ihre Garderobe aussuchen. Ich habe heute einiges gesehen, das denkbar ungeeignet für einen so wichtigen Auftritt ist. Der Juryvorsitzende blickte dabei eine üppige Sopranistin an, deren Kleid eine Menge Haut sehen ließ. Die Arme wurde knallrot.
Im Foyer warteten Paulines Agentin sowie das Kamerateam. Sie wurde gefragt, wie sie sich gefühlt hatte, als sie feststellte, doch weitergekommen zu sein.
»Ich wäre beinahe in Ohnmacht gefallen«, antwortete Pauline wahrheitsgetreu und stimmte zu, am nächsten Vormittag ein paar Außenaufnahmen in München zu machen.
»Das Wetter soll gut werden. Wir treffen uns hier am Theater.« Stefan verabschiedete sich hastig und lief einer anderen Teilnehmerin hinterher, die ebenfalls eine Runde weiter war.
»Es ist wichtig«, sagte Marcella, die ihren Blick richtig interpretierte.
»Aber höchstens zwei Stunden. Ich möchte nachmittags noch arbeiten.« Dafür erntete Pauline ein anerkennendes Blinzeln.
»Was jetzt?«, fragte Henry in der Garderobe.
»Umziehen, essen, Bett.«
»Das ist ein Plan.«
Sie versuchten zwar, Janice zu erreichen, doch ihre Freundin ging nicht an ihr Handy, und in der Oper war sie auch nicht mehr. Ihren peinlichen Auftritt ließen sie unkommentiert. Der Ärger war nachvollziehbar, aber sie hätte sich nicht so gehen lassen dürfen.
Constantin, den sie in New York vermutete und nicht aus dem Schlaf reißen wollte, sandte Pauline nur eine Kurznachricht: Hurra! Ich bin in der Endrunde.
Seine Antwort kam umgehend: Natürlich bist du das, ma petite. Herzlichen Glückwunsch!
Als sie jedoch versuchte, ihn anzurufen, erreichte sie nur seinen Anrufbeantworter. Sie war enttäuscht, sagte sich dann aber, dass er vermutlich in irgendeinem Meeting saß.
Bei den Filmaufnahmen am folgenden Tag gab Pauline ihr Bestes. Den Nachmittag verbrachte sie mit Julian am Flügel, und auch an diesem Abend ging Pauline früh ins Bett. Sie wollte für die Preisverleihung und den Galaabend ausgeruht sein.
Und so fühlte sie sich rundum gut, als sie am nächsten Vormittag zur Stellprobe ging, bei der ihnen der genaue Ablauf der Gala erläutert wurde. Es gab einige Nachfragen und immer wieder kleinere Pannen, denn obwohl sie alle schon Bühnenerfahrung hatten, war der Anlass diesmal doch ein besonderer, und so waren die Teilnehmer ausgesprochen nervös. Doch selbst daran hatten die Veranstalter gedacht, und so bekamen sie zum Schluss eine Mappe, in der noch einmal alle Informationen nachzulesen waren. Sogar ein Bühnenplan befand sich darin, auf dem genau eingezeichnet war, wo jeder Einzelne wann zu stehen hatte.
Nach ihrer Rückkehr in die Pension trank Pauline kurz einen Tee mit Henry und bereitete sich dann in ihrem Zimmer mit Yogaübungen auf den Abend vor.
Von seiner Loge aus hatte Constantin alles im Blick. Nicholas würde später kommen, die übrigen Plätze blieben frei, was ihn wie jedes Jahr eine Menge Geld gekostet hatte. Dieser Galaabend war sehr beliebt beim Publikum, zumal ein großer Fernsehsender alljährlich die Veranstaltung aufzeichnete.
Die Staatsoper war ausverkauft, und ein erwartungsvolles Summen hing über dem Parkett, wo nun die letzten Zuschauer ihre Plätze aufsuchten. Die Jury saß wie bei den Vorentscheidungen in der ersten Reihe, der Orchestergraben blieb geschlossen. Ein Läuten ertönte, das Geraschel und Geflüster verstummte allmählich, hier und da hustete noch jemand, dann öffnete sich der reich mit Gold bestickte, rote Samtvorhang.
Ein attraktiver deutscher Moderator, der sich auf klassische Veranstaltungen spezialisiert hatte, führte durch den Abend. An seiner Seite war eine sympathische Opernsängerin. Ehemalige Sängerin musste man wohl sagen, denn die Frau hatte auf tragische Weise nach einer Operation ihre vielversprechende Singstimme verloren.
Dass dies kein ungewöhnliches Schicksal für eine Künstlerin war, wusste er von Elena Corliss, in die er einst so große Hoffnungen gesetzt hatte. Aber damals war er unvorsichtig gewesen.
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