Gib mir deine Seele
Runde an der Theke zu bestellen. Es war ein gutes Gefühl, endlich Geld zu haben und die Freunde einladen zu können, ohne sich darüber Sorgen machen zu müssen, wie man die nächste Miete bezahlen sollte.
Das Preisgeld war bereits auf ihrem Konto eingegangen, und auch für den Auftritt bei der Literaturveranstaltung war sie nicht schlecht bezahlt worden. Constantins Darlehen hatte sie bisher nicht angerührt. Das hätte sie ihm gern erzählt, und noch so viele andere Dinge, aber seit der Rückkehr aus München tauschten sie nur Kurznachrichten aus.
Obwohl sie sich nach seiner Stimme und noch mehr nach seiner Nähe sehnte, hatte sie seine Anrufe bisher ignoriert und redete sich damit heraus, er hätte schließlich keine Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterlassen und deshalb könnte es ihm nicht so wichtig sein, mit ihr zu sprechen. Wie eine Katze um den heißen Brei schlich sie um sein noch offen stehendes Angebot.
Während sie auf die Drinks wartete, widmete sie sich ihrer neuen Lieblingsbeschäftigung, dem Auszählen nach dem Motto »Er liebt mich, er liebt mich nicht«. Wobei sie heute zuerst die Frage beantwortet haben wollte, ob sie seine Bedingungen akzeptieren oder es bei einer lockeren Affäre belassen sollte.
Das Cognac-Flaschen-Orakel riet ihr davon ab, sich auf Constantins Forderungen einzulassen, also nahm sie noch alle Whisky-Sorten dazu, die vor den glänzenden Spiegeln an der Rückwand der Bar standen. Mit gleichem Ergebnis – bis Leo, der heute Dienst tat, anstatt im Hinterzimmer an seinem Roman zu schreiben, eine neue Flasche Glenmorangie hinzustellte.
Eine Hand berührte ihre Schulter.
Sie zuckte heftig zusammen und drehte sich um. »Ja …?« Der winzige Funken Hoffnung verglomm sofort wieder. »Henry! Hast du mich erschreckt.«
»Was träumst du hier herum? Wir verdursten.« Sie griff nach dem Tablett und half Pauline, die Getränke an den Tisch zu bringen.
»Wann geht’s denn nach Spanien?«, fragte David, der endlich aufgehört hatte, von Paulines Auftritt zu schwärmen.
»Mitte April. Ich musste es etwas nach hinten verschieben, weil ich noch diese dämliche Externenprüfung ablegen soll.«
»Wieso tust du dir das an?« Überrascht sah Pauline ihre Freundin an.
»Mein Vater besteht darauf. Ihm ist es egal, ob ich ein Jodeldiplom mache oder sonst was, Hauptsache, ich habe am Ende ein Zeugnis in der Hand.« Henriette warf einen leidenden Blick zur Decke.
»Verstehe ich nicht. Du bist doch gut, hast diesen Praktikumsplatz …«
»… und schon einen ersten Auftrag. Ja, ich weiß. Aber bei uns in Deutschland ist das so. Ohne Diplom kein Job.«
Alle lachten, doch Pauline fühlte sich unwohl. Auch sie hatte damals das Studium wegen ihres ersten und einzigen Festengagements abgebrochen. Seither hatte sie – auch Dank der Berufserfahrung und während des Unterrichts von Elena Corliss – viel gelernt, aber würde das für eine Karriere als Opernsängerin ausreichen?
David und die anderen Freunde verabschiedeten sich schließlich, nachdem es ihnen nicht gelungen war, Pauline und Henry zu einem Kinobesuch zu überreden.
»Die sind wir los. Noch einen Drink?«
Pauline zuckte mit den Schultern. »Warum nicht?«
Es dauerte nicht lange, und Henry stellte ein Glas vor ihr ab. »Was ist los? Ich sehe dich in letzter Zeit kaum, und wenn, dann bist du schlecht gelaunt.«
»Es kann halt nicht jeder dauerfröhlich sein. Ich hatte viel zu tun.« Dem prüfenden Blick der Freundin wich sie vorsorglich aus.
»Sag bloß, ihr seht euch nicht? Aber Nicky sagt, er ist …« Henry setzte neu an: »Aber in München lief alles bestens, oder?«
Wie schön wäre es, sich jemandem anvertrauen zu können. Doch Pauline zögerte. Henry hatte ihr zwar mehrfach versichert, dass Nicholas nichts Privates über seinen Chef erzählte, aber würde er sich ihr gegenüber ebenso loyal verhalten? Sie bezweifelte es. Dennoch sagte sie: »Es war schön, stimmt. Wir haben auch über uns gesprochen.«
»Ja, und?«, drängte Henry, als Pauline nicht weiterreden wollte.
Da fasste sie sich ein Herz. »Constantin hat sehr genaue Vorstellungen davon, wie eine Beziehung auszusehen hat, und ich bin nicht sicher, ob mir das gefällt.«
»Du sprichst in Rätseln.« Ihre Freundin hielt es kaum noch auf dem Sitz. »Nun sag schon!«
Doch der Mut hatte Pauline bereits wieder verlassen. Es war nicht richtig, diese Dinge mit Unbeteiligten zu bereden. »Er ist sehr dominant, und ich möchte mich niemals mehr so schikanieren
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